Es war eine der ersten Arbeiten von Dias & Riedweg und eine ihrer wichtigsten: «Devotionalia», eine Installation, die in Zusammenarbeit mit 600 Strassenkindern in den Favelas von Rio de Janeiro entstanden ist. Und das 1994, ein Jahr, nachdem Polizisten vor einer Kirche in Rio ein Massaker unter Strassenkindern angerichtet hatten.
Das Resultat des Kunstprojekts von Dias & Riedweg sind 1200 Fuss- und Handabdrücke aus Gips und Wachs, die als beklemmende Ausstellungsstücke in Museen rund um den Globus gezeigt wurden.
Nur wenige Jahre später kam ein grosser Teil dieser Kinder durch Gewalt oder Krankheit um. Dias & Riedweg haben diese Kinder nicht retten können. Möglicherweise ist auch das ein Grund dafür, dass dem Künstlerduo vorgeworfen wurde, die Kinder für ihre Kunst als Objekte missbraucht zu haben.
Nicht wegschauen
Diese Art von Kritik am Künstlerpaar Dias & Riedweg ist nicht neu. Seit 20 Jahren reist das Künstlerpaar Dias & Riedweg mit Kameras durch die Welt, die nicht selten eine beschädigte, problematische, ungerechte Welt ist. Und so alt ist auch die Kritik, die die brasilianisch-schweizerischen Künstler zu hören bekommen: Sie würden Strassenkinder, aber auch andere Favelabewohner, Stricher, psychisch Kranke für ihre Kunst missbrauchen. Doch was ist davon zu halten?
Mauricio Dias, der gebürtige Brasilianer, sagt dazu: «Was ist denn das richtige Verhalten gegenüber Missständen? Wegschauen? Zwischen Wegschauen und Missbrauch ist ein riesiges Feld.» Und dieses Feld beackern Dias & Riedweg mit ihren eigenen künstlerischen und filmischen Mitteln – mal mehr politisch, mal eher poetisch. Das Resultat sind Videoarbeiten in oftmals raumfüllenden, spektakulären Installationen, die ebenso faszinieren wie irritieren, Werke, die in den wichtigsten Museen der Welt schon für Debatten sorgten.
Keine Rettung, aber eine Begegnung
Walter Riedweg, in der Schweiz geboren, sagt zum Vorwurf des Missbrauchs: «Für viele Leute gibt es bei einer Begegnung mit einem Strassenkind nur zwei Möglichkeiten der Reaktion: das Kind zu retten oder nichts zu machen. Bei unserer Arbeit ‹Devotionalia› haben wir diese Kinder nicht gerettet, denn ein solcher Versuch wäre bloss prätentiös. Wir versprachen nichts. Doch wir trafen diese Kinder, wir hörten ihnen zu, wir machten zusammen eine Arbeit. Wir gehen davon aus, dass jeder Mensch den Wert hat, begegnet zu werden. Dies erlaubt uns, mit diesen Menschen in einen Konflikt zu treten – im Sinne einer Zusammenarbeit. Die Leute haben aber immer die Möglichkeit sich zurückzuziehen, auf eine Zusammenarbeit zu verzichten, nur zuzuschauen. Die Nähe ist immer variabel.»
Die 1200 Fuss- und Handabdrücke der Strassenkinder werden heute im Tresorraum des Nationalen Museums der Schönen Künste in Rio de Janeiro aufbewahrt, wo sie mit Sorgfalt gehegt und gepflegt werden. Die Gliedmassen aus Wachs und Gips sind in vielen Fällen die einzige Hinterlassenschaft von Kindern ohne Geburts- und Sterbeurkunde – die offiziell gar nie existiert haben.