«Kann man Farbe hören? Man kann», sagt der Heiligenmaler George Kordis. Er fordert seine Schüler auf, ganz leise zu sein und genau hin zuhören. Er greift zu einem Pinsel und fährt behutsam über eine graugrün grundierte Leinwand. Ein leises Zirpen ist zu hören. «Das liegt an der Beschaffenheit der Farbe, dem Verdaccio», sagt der Hagiograph und fährt zum Vergleich mit dem Pinsel über eine nicht grundierte Fläche. «So könnt ihr auch kontrollieren, ob die Farbe gut ist.»
George Kordis lehrt seit vielen Jahren die Kunst der Ikonenmalerei. Der Maler und Theologe bewegt sich behende zwischen West und Ost: zwischen den USA, wo er an der Universität Yale unterrichtet und seiner Heimat Griechenland.
Die Figur geht zum Betrachter hin
«In der westlichen Malerei, seit der Renaissance, ist das Bild ein Fenster in eine andere Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, die in Raum und Zeit vom Betrachter unabhängig ist», sagt der George Kordis und zieht eine Staffelei näher heran.
Das Bild darauf zeigt den Heiligen Johannes. «Achtet auf die Perspektive», sagt er und zeichnet mit der Rückseite eines Stifts eine Linie in die Luft, die beim Heiligen beginnt und vor der Nase eines Schülers endet.
«Byzantinische Ikonen eliminieren die optische Tiefe ganz bewusst. Ihr Fluchtpunkt liegt nicht im Bild, sondern beim Betrachter. Ikonen sind also von der dargestellten Figur aus gemalt.» Das Ergebnis: Die dargestellte Figur bewegt sich zum Betrachter hin. Sie tritt in seine Wirklichkeit ein.
Die Figuren scheinen lebendig
Die Wahl der Farben unterstützt diesen Effekt. Der Maler beginnt mit einem warmen Untergrund, damit kein Sog nach hinten, in die Tiefe, entsteht und entwickelt die Farbe zum Betrachter hin, Lasur um Lasur, in kühleren Tönen. «Seht ihr, wie die Farben vom Untergrund her leuchten?», fragt der Lehrer in die Runde. «Die Formen haben Volumen, aber keine Schwere.»
Die durchscheinenden Farben lassen die Figuren lebendig erscheinen. Auf dem Bild ist keine Lichtquelle erkennbar. Kein Fenster, keine Kerze, keine Lampe. Die Ikone leuchtet aus sich selbst. Auch auf diese Weise entsteht der Eindruck, dass die Figur aus dem Bild heraus tritt.
Feste Vorgaben und eine immense Tradition
Seit mehr als 30 Jahren malt George Kordis Ikonen, und immer noch empfindet er diese Kunst als Herausforderung: «Viele Menschen denken, eine Ikone zu malen, heisse abzumalen. Und dass das Malen von Ikonen eine kleinere Herausforderung sei als die freie Malerei», sagt er.
«Aber ein freier Maler hat einen immensen Spielraum. Wir dagegen haben feste Vorgaben und eine immense Tradition. Wir malen, was unzählige Meister vor uns auch gemalt haben. Dabei müssen wir einen persönlichen Zugang zum Thema finden. Gleichzeitig muss das Ergebnis der Gemeinschaft der Gläubigen dienen.»
Nichts ist zufällig
Gerade das ist es, was viele Menschen an der Ikonenmalerei fasziniert. Alles hat eine Bedeutung, sagt eine der Schülerinnen im Kurs. «Kein Strich, nichts ist zufällig. Und je mehr ich erfahre, desto mehr entdecke ich. Ich glaube nicht, dass ich jemals aus gelernt haben werde.»
Und ihre Nachbarin ergänzt: «Die Ikonenmalerei übt einen so unglaublichen Sog auf mich aus, dass ich ganze Tage vor der Staffelei zubringe. Ich empfinde bei der Arbeit einen solchen Frieden, ein solches Glück. Wenn ich einen Heiligen male, dann spüre ich seine Anwesenheit im Raum.»