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Kunst Die Zukunft des Fotojournalismus ist multimedial

Die Krise des Journalismus macht auch vor den Fotografen nicht halt. Die Fotoreportage sei tot, wird seit langem behauptet. Doch mit dem Medienwandel entstehen auch neue Plattformen und Arbeitsweisen: Fotografen arbeiten vermehrt multimedial - mit teils unerwarteten Erfolgen.

Die Fotoreportage sei tot, hört man immer wieder, seit Jahren. Längst vorbei sind die Zeiten, als mehrseitige Bildergeschichten in Magazinen das einzige Fenster zur Welt waren. Damals, in den 1930er bis 1960er Jahren, blühte das Genre. Reporter der grossen Fotoillustrierten wie «Life», «Time» oder «Paris Match» schwärmten aus. Zurück kamen sie mit Bildern direkt von den Schlachtfeldern des Spanischen Bürgerkriegs, wie etwa Robert Capa. Oder mit Berichten aus Ländern, die damals für die meisten unerreichbar waren, wie Werner Bischof, der die Poesie Japans oder Perus meisterhaft einfing.

Kein Budget für Fotoreportagen

Doch dann kam das Fernsehen und schliesslich das Internet, beide schneller und günstiger. Die Presse geriet unter Druck. Viele der einst stolzen Fotoillustrierten verschwanden. Das werbebasierte Geschäftsmodell vieler Titel funktionierte nicht mehr. Information ist heute kostenfrei erhältlich. Die Redaktionsbudgets für aufwändige Reportagen sind vielerorts gänzlich dahingeschmolzen.

Lamento und Vorwärtsstrategien

Bordell in Zürich.
Legende: Bordell in Zürich, fotografiert im Februar 2000. Da arbeitete Fabian Biasio noch nicht multimedial. Keystone / Fabian Biasio

Und die Fotografen? Viele lamentieren. Sie sehen ihren Berufsstand bedroht. Und sorgen sich, dass wir vieles nicht mehr sehen werden, weil es im Schatten der Medienhypes liegt. Fabian Biasio ist einer der engagierten Fotojournalisten, die nicht lamentieren. Im Gegenteil: Das digitale Zeitalter eröffne dem Fotojournalismus neue Chancen. Das Internet sei wie geschaffen, Fotografie mit Text, Ton und Video zu kombinieren. Das erlaube es ihm, Geschichten umfassender und eindringlicher zu erzählen.

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Fabian Biasio: «Markt im Wandel»
00:30 min
abspielen. Laufzeit 30 Sekunden.

Kürzlich kehrte der Luzerner Fotograf etwa nach Huntsville, Texas zurück. Dort fotografierte er vor zehn Jahren eine Reportage über die Todesstrafe. Nun ergänzt er sie mit Interviewsequenzen der Hinterbliebenen.

Multimedia als Rettungsring

«Audiovisual», «Multimedia Story», «Audio Slideshow», «Webdoku»: Noch hat sich kein einheitlicher Begriff für das herausgebildet, was seit wenigen Jahren den Fotojournalismus zu revolutionieren verspricht. Doch eines haben all diese neuen Formen gemeinsam: Sie kombinieren Fotografie, Ton und Film. Und sie werden hauptsächlich übers Internet vertrieben und angeschaut. Das erlaubt es den Fotografen, ohne den Umweg über einen Verlag oder eine Redaktion ein Publikum zu erreichen. Und es macht es gleichzeitig schwierig, ohne etablierte Vertriebsstrukturen an ein zahlungsbereites Publikum zu gelangen.

Neue Generation von Kameras

Neue Fotokameras haben den Trend lanciert: Vor fünf Jahren kamen erste Profi-Spiegelreflexkameras auf den Markt, die gleichzeitig Video aufzeichnen konnten - in ausgezeichneter Qualität, fast wie im Kino: Der Schärfenbereich lässt sich präzise setzen, Hinter- und Vordergrund verschwimmen in poetischer Unschärfe. Und dies alles zum Preis einer Fotokamera.

Seither arbeiten immer mehr Fotografen damit. Statt nur zu fotografieren, führen sie Interviews, zeichnen Töne auf und kombinieren alles zu mehrminütigen Multimedia-Reportagen. Auch wenn Zeitungen diese immer öfter für ihre Webseiten nachfragen, fehlt noch ein einträgliches Geschäftsmodell dafür. Multimedia-Journalismus bleibt vorerst wie der klassische Fotojournalismus eine Herzensangelegenheit.

Sorgfältig komponierte Bildfolgen

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Michael Hauri: «Fotoreportagen für den iPad»
00:35 min
abspielen. Laufzeit 35 Sekunden.

Auch Michael Hauri ist einer jener Pioniere, die seit wenigen Jahren die multimedialen Möglichkeiten für ihre fotojournalistische Arbeit nutzen. Wie Fabian Biasio will auch er die Fotoreportage ins 21. Jahrhundert retten. In seinen Reportagen erzählt er Geschichten, die sonst untergehen - wie etwa jene eines Obdachlosen in Berlin: Während der Mann spricht, ziehen auf dem Computerbildschirm einzelne Fotografien vorüber. Jede bleibt für einige Sekunden stehen. Sorgfältig komponierte Bilder, die sich einprägen. Der Mann lesend auf der Bank, mit Bierflasche im Tram, seine Habseligkeiten unter dem Arm.

Es ist der Obdachlose, der direkt zu einem spricht. Das schafft Nähe. Ein Beispiel für eine Multimediareportage, die Fotografie und Ton zu einem ästhetisch und inhaltlich packenden Dokument zusammenführt. Michael Hauri hat sie mit seiner jungen Produktionsfirma 2470media und mit Unterstützung der taz, die «tageszeitung» aus Berlin, geschaffen, wo sie zum unerwarteten Grosserfolg mit Zentausenden von Klicks wurde.

Revolutionierung eines Berufsbildes

Es ist eine Vielzahl neuer Aufgaben und Techniken, mit denen Multimedia-Journalisten umzugehen haben. Doch für Michael Hauri und Fabian Biasio - und für viele weitere Fotojournalisten weltweit - lohnt sich dieser Effort: Eine Geschichte bis ins letzte Detail gestalten und kontrollieren zu können, sie dann ungehindert im Internet zu verbreiten, mit eindringlichen Mitteln wie Sprache, Ton und Bewegtbild die Menschen wachzurütteln, Geschichten zu erzählen, die sonst überhört und keine Öffentlichkeit finden würden - das alles macht es für sie lohnenswert.

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