Zum Inhalt springen

Kunst Ein wahres Enfant terrible: Thomas Hirschhorn gibt sich genervt

Thomas Hirschhorn baute 2013 in einer Armensiedlung in New York während mehrerer Monate das «Gramsci-Monument». Der Basler Filmemacher Angelo Lüdin hat diesen Prozess begleitet. Ein schwieriges Unterfangen. Ein kompromissloser Hirschhorn nervte sich über die «Filmerei», und zeigte das unverhohlen.

Sendungshinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Der Dokumentarfilm «Thomas Hirschhorn – Gramsci Monument» von Angelo Lüdin ist am 12.6. um 23.10 Uhr auf SRF 1 zu sehen. Der Film ist danach 28 Tage lang online verfügbar.

SRF: Sie haben Ende der 1970er-Jahre an der Schule für Gestaltung Zürich Fotografie studiert. Gleichzeitig wie Thomas Hirschhorn. Er studierte Grafikdesign. Was war der Auslöser, etwa 40 Jahre später seine Arbeit filmisch zu begleiten?

Angelo Lüdin: Als ich 2011 seinen Pavillon an der Biennale besuchte, verstand ich dieses Werk nicht. Es war ein vollgestopfter Raum, wie die Wohnung eines Messis. Ich war verunsichert und gleichzeitig motiviert, mehr darüber zu erfahren.

Angelo Lüdin

Box aufklappen Box zuklappen

Angelo A. Lüdin (geb 1950) studierte Fotografie in Zürich. Seine Arbeiten wurden in Gruppen-und Einzelausstellungen im In- und Ausland gezeigt. Seit den 1980er-Jahren als freischaffender Fotograf, Filmemacher, Autor und Produzent tätig. 2015 entstand «Thomas Hirschhorn das Gramsci Monument».

Deshalb besuchte ich einen Anlass im Schaulager Basel. Dort erklärte Thomas Hirschhorn sein Werk. Ich fragte ihn, ob er bereit sei für einen Dokumentarfilm. Er meinte, nur wenn es um ein Projekt gehe. Das fand ich toll und wir einigten uns auf das Gramsci Monument.

Etwa drei Monate lang baute Thomas Hirschhorn zusammen mit den Bewohnern des Quartiers sein Gramsci-Monument: Eine Bretterbude aus billigem Holz und Klebeband, bestehend aus Bibliothek, Cafeteria, Theater und Gramsci-Museum. Sie begleiteten diesen Prozess mit der Kamera. Ein schwieriges Unterfangen, der Dokfilm zeigt einen leidenschaftlichen und genervten Künstler. Wie haben sie das erlebt?

Zu Beginn, in seinem Atelier in Paris, war Thomas Hirschhorn sehr zugänglich. Später beim Aufbau in der Bronx war er äusserst angespannt. Er verweigerte jede Zusammenarbeit mit uns. Ja, manchmal schien es mir, als ob er uns gegen die Bronx-Einwohner ausspielen wollte. Sein Ausbruch wegen dem Generator war heftig.

Ich versuchte, auf dem Set ruhig zu bleiben. Später im Hotelzimmer kamen die Emotionen. Für den Film selber war der Wutanfall ein Geschenk. Der Kameramann Pio Corradi hielt die Kamera im rechten Moment auf die Szene. Und so konnten wir schon zu Beginn des Filmes dokumentieren, unter welch schwierigen Bedingungen wir arbeiten mussten.

Video
Thomas Hirschhorn: Wutausbruch beim Dreh
Aus Kultur Extras vom 10.06.2016.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 22 Sekunden.

Der preisgekrönte Kameramann Pio Corradi hat eindrückliche Szenen festgehalten...

Pio Corradi ist ein grossartiger Kameramann, der sensibel und intuitiv im Voraus eine Bewegung oder einen Ausbruch wahrnimmt und festhalten kann. Ein Glücksfall für den schwierigen Dreh. Übrigens, der 76-jährige Pio Corradi hat jetzt gerade den «Ehrenpreis des deutschen Kamerapreises» gewonnen.

Hat der Dokumentarfilm Thomas Hirschhorn gefallen?

Thomas Hirschhorn

Box aufklappen Box zuklappen

Der in Bern geborene Installationskünstler lebt und arbeitet heute in Paris. Für seine gesellschaftskritischen Arbeiten wurde er mehrfach ausgezeichnet. Hirschhorns Kunst provoziert oft – vor allem seine Aktion «Swiss-Swiss Democracy», bei der er 2004 in Paris ein Blocher-Foto bepinkeln liess.

Er hat den Rohschnitt gesehen, danach haben wir seine Anmerkungen überprüft und in den Film eingebaut. Die Schlussfassung kennt er meines Wissens nicht. Er sagte uns, dem Film gegenüber werde er loyal sein, obwohl er nicht gelungen sei. Ohne viel Emotionen verabschiedete er sich ganz normal. Etwa drei Wochen später bekamen wir eine Kopie der Mail, die Hirschhorn an seine Kuratorin geschickt hatte. Er beklagte sich bitterlich und meinte, er wolle von nun an nichts mehr mit uns zu tun haben.

Hirschhorn wirft Ihnen journalistische Ahnungslosigkeit vor, auch sei der ganze Film zu sehr auf seine Person fixiert.

Ich weiss nicht, was er da meint, erstens ist es kein journalistischer Film, sondern ein Autoren-Dokumentarfilm, den Frank Matter von der soap factory und ich selber produziert haben. Kein Auftragsfilm über ihn mit Kunstexperten, die sein Werk loben. Hirschhorn sieht sich gerne kompromisslos, als einer, der alles gibt für die Kunst. Vielleicht muss man so sein, wenn man so grosse Projekte durchzieht. Er lebt für die Kunst und ist mittlerweile ein Weltstar.

Was ist Ihr Fazit?

Ich habe den Film unter schwierigen Bedingungen realisiert und viel gelernt. Ich würde ihn aber so nicht mehr realisieren.

Meistgelesene Artikel