Da sind diese Räume, Hallen im Kunsthaus Bregenz, ihre Wände und der Boden aus kaltem Beton. Er durchdringt einem fast, lässt einen frösteln. Es hallt bei jedem Schritt. Jedes Wort wird hin- und zurückgeworfen. Ein schales Licht dringt durch die milchig glasige Decke. Diesen Bau von Peter Zumthor gilt es zu vereinnahmen. Nicht ganz einfach für Künstlerinnen und Künstler, die hier ausstellen.
69 Prints in Beton
Doch Rosmarie Trockel gelingt es. Das hat einmal mit der schieren Fülle der Werke zu tun, die hier präsentiert werden. In einem Raum – die Kuratoren haben gänzlich auf Unterteilung im Raum verzichtet – hängen sie dichtgedrängt nebeneinander, zum Teil auch übereinander: Plakatgrosse Drucke von Fotos.
Mal wurde eine Albumseite abfotografiert, mal ein Klotz Beton auf eierschalengelbem Hintergrund. Mal werfen wir unseren Blick auf Trockels Computer und geöffnete Programme, dann wieder auf inszenierte Porträts oder Schnappschüsse. Auch sehen wir Zeichnungen von Trockel. Sie, die früher jeden Tag zeichnete, heute vor allem fotografiert, wie der Dirketor des Kunsthauses, Yilmaz Dzewior, sagt.
Die Sujets sind einerseits alltäglich, andererseits hält sie Trockel auf merkwürdig berührende, seltsam inspirierende Art und Weise fest. Die Prints haben etwas Persönliches, Intimes, nehmen aber gleichzeitig auf Bereiche des öffentlichen Lebens Bezug: Politik, Sport, Mode, Reisen, Kunst.
Faszinierend auch die verschiedensten Farben, mit denen sie spielt und die sich durch ihre milchige Sanftheit krass vom taubengrauen, kühlen Sichtbeton abheben. Genial dabei sind die Rahmen der Bilder, allesamt auch aus Beton. Sie schattieren die Werke, geben ihnen Wirkung, ohne dass man es merkt.
«Marzôschnee ûnd Wiebôrweh sand am Môargô niana më»
Rosemarie Trockel spielt gerne mit Gegensätzen, bricht unsere Erwartungen. Das tut sie in der Bregenzer Ausstellung bereits im Titel: «Marzôschnee ûnd Wiebôrweh sand am Môargô niana më». Dieser Titel, ein voralbergisches Sprichwort zitierend, nimmt Bezug auf die Region um Bregenz und lässt einen gleichzeitig schmunzeln ob dieser gemeinen Abwertung weiblicher Befindlichkeiten.
So bleibt sich Trockel unter diesem Titel treu und erfindet sich gleichzeitig neu. Unter anderem mit einer Figurine, die im dritten Stock des Museums in der Mitte steht. Der Raum ist abgedunkelt, wirkt unheimlich, ein Fenster ist an die Wand projiziert, einige Mixedmedia-Werke an den Wänden und sonst nur die Besucherin und diese Figur.
Eine Uni-Sex Schaufensterpuppe mit Lockenwicklern im Haar, in der traditionellen Tracht des Bregenzer Wald, mit kugelsicherer Weste, der Rock hinten geschlitzt. An den Schultern hängen Schutzsymbole aus der Region, Hühnerfüsse, Zähne und Hörner von Böcken. Auf dem Kopf trägt sie einen Zuber, in dem unzählige Gamsbärte liegen. Die Trophäen, die sich die erfolgreichen Jäger stolz an den Hut stecken.
Vereint in Gegensätzlichem
Die Figur vereint, was Rosemarie Trockels Werk ausmacht: Der starre Blick der Puppe irritiert, ebenso wie der zu hohe Schlitz im Rock, der den Blick auf schwarze Strapsen freigibt.
Trockel nimmt Männlichkeitssymbole und wirft sie in einen Waschzuber. Sie bedient sich lokaler Tradition und gibt ihr einen modernen, internationalen Anstrich, denn die Mode wirkt durch den simplen Stoff (sinnigerweise heisst er «gewachste Leinwand») zeitgemäss. Und sie schafft trotz aller Distanz, die die scheue Künstlerin gerne zu ihrem Publikum wahrt, eine gewisse Intimität und Nähe zu sich selber. Denn die Figur ähnelt der 62-jährigen Künstlerin. Dieses Werk, brandneu, von 2015, trägt den Namen «The Critic». Die Kritikerin.
Und weil diese Kritikerin nicht sprechen kann, tu ich es für sie: Die Ausstellung, die fast nur neue Werke von Rosemarie Trockel zeigt, vermag das ganze Können der Wahlkölnerin aufzuzeigen. Sie ist umfangreich verschiedenartig und verfolgt doch insgesamt ein gemeinsames Ziel: die Besucherin mitzunehmen in den Kosmos der einmalig vielfältigen Rosemarie Trockel.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 27.1.2014, 17:30 Uhr