Sein Protest dürfte vielen noch im Gedächtnis sein: Der Istanbuler Aktionskünstler Erdem Gündüz stand im vergangenen Sommer mitten auf dem Taksim-Platz einfach still.
Damit sorgte er für mehr Aufmerksamkeit als die vielen Demonstranten, die sich fast täglich hier versammelten, um laut gegen Polizeigewalt und autokratischen Regierungsstil zu protestieren. Nur wenige Stunden dauerte es, dann standen überall in der Türkei Menschen still.
Kunst kämpft gegen das Vergessen
Das Beispiel zeigt: Schon im Sommer 2013 war es nicht selten die Kreativität, die den Gezi-Protesten ihre Energie gab. Heute, ein Jahr später, sind viele der Demonstranten von damals frustriert und verstummt. Die Demos zum ersten Gezi-Jahrestag vom vergangenen Wochenende lassen sich kaum noch als Massenaufstand bezeichnen. Und so sind es auch jetzt die Kulturschaffenden, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den «Geist von Gezi» am Leben zu halten.
«Gezi – Come if you dare» heisst eine aktuelle Ausstellung, die Bedri Baykam – einer der bekanntesten Künstler der Türkei – in Istanbul organisiert hat. 53 Künstler erinnern darin an die Proteste vom vergangenen Sommer. In zwei kleinen Galerien zeigen sie von Tränengaskartuschen durchbohrte Skulpturen, blutrote Chaosbilder, Fotomontagen, auf denen die Bäume des Gezi-Parks Gasmasken tragen.
Die Proteste haben Kunstszene belebt
Klassische Ölgemälde hängen neben Drucken von jungen Grafikdesignern, Schwergewichte der türkischen Künstlerszene neben absoluten Newcomern. «Genauso vielfältig, wie die Masse der Demonstranten war, so bunt gemischt sollten auch die teilnehmenden Künstler sein», erklärt Baykam. Gezi bezeichnet der Maler gern als Erdbeben – als Sturm, «der Sauerstoff in die Gehirne der Kulturschaffenden gespült hat.» Die so freigesetzte Energie soll die Ausstellung spiegeln.
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«Wissen Sie, das schlimmste an der türkischen Gesellschaft ist ihre Vergesslichkeit», erklärt der Ko-Kurator der Ausstellung, Denizhan Özer. «Militärputsche, Unfälle, Skandale – hier passiert so viel, aber die Leute vergessen es einfach, ziehen keine Lehren daraus. Deswegen müssen wir Künstler an Gezi erinnern, diesen wichtigen Einschnitt in die türkische Demokratiebewegung.»
«Wir werden nicht schweigen»
Tatsächlich: Unendlich weit weg scheint der Ausnahmezustand von damals. Heute wird der Taksim-Platz von Kameras überwacht, einstige Demonstranten müssen sich vor Gericht verantworten. Doch der Protest der Kulturschaffenden geht weiter, nicht nur in Ausstellungen wie «Come if you dare». In einem Online-Video riefen bekannte türkische Künstler vergangene Woche gemeinsam zum Protest auf, der Dokumentarfilm «Gözdağı» (Drohung, Einschüchterung) erinnert an die Opfer der Polizeigewalt. Und mehr als 50 Bücher und Bildbände tragen Gezi weiter in türkische Wohnzimmer.
Kein Wunder, dass die Regierung gerade gegen Kulturschaffende hart vorgeht, sagt der Autor Erol Özkoray, der in diesen Tagen für sein Buch «Gezi Phenomenon» vor Gericht steht. «Erdoğan denkt, wenn er uns mundtot machen oder einschüchtern kann, dann hat er die Massen unter Kontrolle. Aber genau deswegen dürfen wir nicht aufgeben. Wir werden nicht schweigen – auch wenn er uns ins Gefängnis steckt.»