Am 21. Januar hat Franz Gertsch sein jüngstes Gemälde «Pestwurz» vollendet. Das 220 x 330 cm grosse Bild hängt jetzt im Museum Franz Gertsch, in der Ausstellung, die am Sonntag eröffnet wird.Im Atelier des Künstlers wartet jedoch schon die nächste Arbeit: Zwei graugrün gestrichene Holzplatten. Gertsch will das Bromelien-Motiv aus dem Guadeloupe-Triptychon als Holzschnitt drucken. Unten rechts sind erste Spuren ins Holz geschnitten. Sie sehen aus wie eine kleine helle Wolke. Das sei für ihn das Befriedigende an seiner Arbeit, sagt Franz Gertsch, dass die Werke zu jedem Zeitpunkt des Schaffensprozesses interessant aussehen.
Das Atelier, das an den Wohnbereich anschliesst, ist gemessen an Gertschs monumentalen Bildern überraschend klein. Aufgeräumt ist es, nur wenige Werkzeuge liegen auf einem Tisch. Und ein Notizheft, Bücher. Neben der Tür steht eine Chaiselongue, darüber hängt ein Bild des jungen Gertsch. Es zeigt eine abstrahierte Strassenszene aus Bern in Rosa, Violett und Blau, die der Künstler als 16-Jähriger gemalt hatte.
Natur und Notenspiel
Vor fast 40 Jahren zog Franz Gertsch mit seiner Frau Maria und den Kindern in das alte Bauernhaus in Rüschegg im Schwarzenburger Land. Das Gebäude schmiegt sich an einen Hang. Im Innern ist es heimelig und hell zugleich, die Wände sind mit Holz getäfelt, die grossen Fenster lassen viel Licht herein. Das Parterre ist offen wie ein grosser Raum, in dem Wohnbereich, Küche und Essraum ineinander übergehen.
Hinter dem Kochbereich steht ein schwarzer Flügel, an dem Franz Gertsch oft spielt. Sein Vater war Sänger. Schon als Knabe begann Franz Gertsch mit dem Klavierspiel. Als junger Mann dachte er sogar daran, ein Klavierlehrerdiplom abzulegen. Aus Angst, die Malerei könne sich als brotlos erweisen. Es kam anders. Doch Franz Gertsch sieht eine klare Parallele zwischen Kunst und Klavierspiel. Die sichtbare Natur, das ist für ihn Code, den er als Maler interpretieren muss, «vergleichbar mit den Noten, die ein Klavierspieler hat».
Der Essplatz gleicht einem Wintergarten. Eine Katze räkelt sich auf dem niedrigen Heizkörper. Die verschneiten Bäume vor dem Haus scheinen fast nach dem Tisch zu greifen. Die Natur, die im Spätwerk Gertschs eine zentrale Bedeutung hat, ist im Alltag des Künstlers sehr präsent.
Der Künstler als Spaziergänger
Die Mystik des Wachsens, des So-Seins, beschäftigt Franz Gertsch: «Wie ist diese Vielfalt in der Natur möglich? Wenn sie diesen verschneiten Baum anschauen: Wer hat so viel Phantasie, um diese Strukturen, diese Bewegungen zu vollbringen?»
Viele Motive seiner späteren Werke stammen aus der unmittelbaren Umgebung des Hauses. Das Flüsschen Schwarzwasser hat er in seiner Kunst ebenso verewigt, wie die Pflanzen der Umgebung und das Waldstückchen, in dem er seinen täglichen Spaziergang macht. In diesem Wäldchen nahe dem Haus schoss er die Fotovorlagen zu seinem Jahreszeiten-Zyklus, der von 2007 bis 2011 entstand. Die Bilder zeigen ein unspektakuläres Stückchen Wald, wie man es überall in der Schweiz finden könnte. Viele Museumsbesucher, so erzählt Franz Gertsch fühlten sich vor dem Bild an eigene Spaziergänge erinnert.
Das Spazierengehen ist auch für Franz Gertsch ein Akt des Nachdenkens und Anschauens. Und darum geht es auch in seinen Werken: um die visuelle und die geistige Erfahrung der Natur als dem Ausdruck des Lebendigen. Ein menschliches Gesicht interessiert den Künstler dabei ebenso sehr wie ein einfaches Blatt oder die gekräuselte Oberfläche von fliessendem Wasser. Die Wesenheit des Natürlichen – das ist es, was Gertsch in seiner Kunst einzufangen sucht.
Sendung: Radio SRF2 Kultur, Kultur kompakt vom 6. März 2013, 17.40 Uhr.