Ihr Charisma ist gross wie ein Hafenkran und ihr Ruf gigantisch. Marina Abramović hat die Kunstszene aufgerüttelt mit ihren Performances der Grenzerfahrung. Stundenlang bürstete die Künstlerin ihr Haar, peitschte sich selbst oder liess sich von Wildfremden eine Pistole an den Kopf halten. Endgültig zum Superstar wurde Marina Abramović mit ihrer Langzeit-Performance «The Artist is Present» (2010). Tausende Menschen standen in New York stundenlang an, um Marina Abramović im Museum of Modern Art gegenüber zu sitzen.
Beiträge zu Marina Abramović
- Kritik zum Film «The Artist Is Present» (Box Office, 25.10.12) Kritik zum Film «The Artist Is Present» (Box Office, 25.10.12)
- «Sterben auf der Bühne» (Kulturplatz, 13.6.12) «Sterben auf der Bühne» (Kulturplatz, 13.6.12)
- Marina Abramovics «Vermächtnis» (Reflexe, 11.7.12) Marina Abramovics «Vermächtnis» (Reflexe, 11.7.12)
- Marina Abramovic inszeniert ihren Tod (Echo der Zeit, 12.6.12) Marina Abramovic inszeniert ihren Tod (Echo der Zeit, 12.6.12)
Seither gilt sie vielen als Königin der Performancekunst, ist aber nicht unumstritten. Die Kritik moniert, Marina Abramović stelle ihr Ego über alles. Sie posiert mit Pop-, Rap- und Filmstars im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, zierte mit James Franco das Cover der Vogue, arbeitete mit dem Rapper Jay-Z und mit Popstar Lady Gaga zusammen.
Doch weit umstrittener als der öffentliche Rummel ist, dass Marina Abramović ihre Performances wiederholt. «Re-Performance» ist das Schlagwort und das ist bahnbrechend für eine Kunstgattung, deren Merkmal die einmalige Live-Performance ist.
Entspannen im Prototyp
Auch im Prototyp für das «Marina Abramović Insitute», das die Performerin nun in Basel zeigt, ist eine Re-Performance enthalten. Dieser Prototyp ist ein mobiles Zeltdorf, ein Vorbote auf das Kulturzentrum, das Marina Abramović in naher Zukunft in Hudson bei New York aufbauen will.
Nun steht das Zeltdorf vor dem Basler Museum Tinguely und wirbt auch um Geldgeber. Wer sich vorgängig angemeldet hat, dem wird Eintritt gewährt. Vertraglich verpflichten sich alle Besucher zu zwei Stunden Aufenthalt und erleben eine durch Kunst überhöhte Yogaübung.
Es wird geatmet, geturnt, mit Kristallen angereichertes Wasser in kleinen Schlucken getrunken. Und dann sitzen sich zwei Unbekannte für eine halbe Stunde gegenüber; so wie die Performance-Besucher in New York Marina Abramović gegenüber sassen. Nur durch Wiederaufführung bleibe Performance lebendig, sagt Marina Abramović. Keine Videodokumentation, keine gelehrte Kunstkritik könne das persönliche Erlebnis ersetzen. Und es gehe ihr gerade darum, das künstlerische Ego, das den alleinigen Anspruch auf die Arbeit erhebt, auszuschalten.
Marina Abramović weiss mit ihren Kritiken umzugehen. Der Prototyp für ihr Institut, der nun in Basel zu erleben ist, bietet allerdings nur einen faden Abglanz dessen, was bei New York dereinst vielleicht entstehen wird. Denn im fertigen Institut sollen nach der vorbereitenden Yogaprozedur Tanz-, Oper-, Musik-, Performance-Aufführungen auf dem Programm stehen. In Basel ist nach der Vorbereitung Schluss. Wer den Prototypen dennoch besucht, der kann sich tiefentspannt den Rest der Ausstellung «Metamatic reloaded» ansehen.
Tinguelys Kunstmaschine ins Heute übersetzt
Ausgewählte Gegenwartskünstler setzen sich in dieser Ausstellung mit Jean Tinguelys «Méta-Matics» auseinander. Diese Zeichenmaschinen aus dem Jahr 1959 ersetzten menschliche Kreativität durch Mechanik. Die Kunst-Projekte aus der Gegenwart drehen sich um Übersetzungen in digitale Medien.
Am Augenfälligsten tut das der US-amerikanische Künstler Ranjit Bhatnagar, der menschlichen Gesang in Sound übersetzt. Sein «Singing Room for a Shy Person» übersetzt die Gesangsimpulse, die scheue Sänger in einer schalldichten Kabine von sich geben, in digitale Signale, die wiederum Schläger betätigen und Schalter umlegen und damit ein Akkordeon und ein Vibraphon bedienen.
Der Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn zeigt seine grosse Installation «Diachronic-Pool». Ein verwirrendes Modell der mittels digitaler Medien zerstreuten Welt-Wahrnehmung, ein Dschungel aus Computerschrott. Olaf Breuning ist mit dem dritten Teil seines Kunstfilmserie «Home» vertreten. Und bei Brigitte Ziegers digitaler Animation feuern die lieblichen Schäferinnen einer Rokoko-Tapete urplötzlich wie Western-Heldinnen auf die Betrachter.
Eine Vielfalt spielerischer Umgänge mit digitalen Medien ist zu sehen. Bloss was Marina Abramović in der Ausstellung zu suchen hat, bleibt unklar. Einem Kunst-Superstar sagt man eben nicht nein.