Skandale gehören zur Kunst wie das Gelbe zum Ei. Das wussten schon die Künstler der Renaissance und instrumentalisierten öffentliche Erregung strategisch in den Verhandlungen mit ihren Auftraggebern. Mitte des 19. Jahrhunderts verschärft sich das Verhältnis der Künste zum Skandal, denn immer mehr Künstler werden nun zu unabhängigen Unternehmern, die, frei von Auftraggebern und auf eigenes ökonomisches Risiko, Werke schaffen. Aufmerksamkeit ist in dieser Situation ein wichtiges Gut. Und der Skandal ein probates Mittel sich diese zu sichern.
Ökonomie der Aufmerksamkeit
Gustave Courbet war einer dieser Unternehmer-Künstler und besass ein untrügliches Gespür für die Mechanik der öffentlichen Erregung. Die Fondation Beyeler zeigt nun in ihrer Ausstellung einen breiten Überblick über die historischen Skandalbilder, darunter auch ein Schlüsselwerk des Realisten, mit dem der Künstler für Erregung sorgte: das Programmbild «La Recontre» oder «Bonjour Monsieur Courbet».
Zu sehen ist der Künstler selbst, der mit stolz gerecktem Spitzbart auf offener Landstrasse seinem Gönner begegnet und von diesem devot begrüsst wird. Ein neues und überbordendes künstlerisches Selbstbewusstsein ist hier dargestellt. Und nicht nur das erregte Aufsehen.
Courbet stellte das Werk 1855 auch auf aufsehenerregende Weise aus. In Paris war die Weltausstellung zu Gast, Courbet eröffnete als Trittbrettfahrer des Publikumsmagneten gleich nebenan einen privaten Pavillon und zeigte darin gegen Eintritt seine Bilder. Das war unerhört, weil sich da ein Künstler frei machte von Fremdbestimmung im Ausstellungsbetrieb. Und weil dieser Künstler als Unternehmer damit gleichzeitig seine kommerziellen Interesse verfolgte.
Aktualität Courbets
Courbet hatte früh begriffen, dass auf dem freien Markt Publizität Macht ist. Und dass sich auch eine schlechte Kritik für den Künstler bezahlt machen kann. Nicht zuletzt darin steckt seine Aktualität. Schliesslich nutzen auch heute Künstler wie Tracey Emin oder Damien Hirst Skandale für die Wertsteigerung ihrer Werke.
Und selbst wenn heutige Künstler explizit auf sexuelle Inhalte setzen, um den Skandal zu provozieren, ist ihnen Courbet ein historisches Vorbild. Sein ominöses Werk «L’origine du monde» zeigt eine Vagina und war Pariser Stadtgespräch, obwohl kaum einer das Bild gesehen hatte.
Die Ausstellung in der Fondation Beyeler legt ihren Fokus aber nicht auf die Aktualität Courbets als Provokateur und Stratege. Sie wählt einen anderen Weg ins Heute und präsentiert den Künstler als Vorläufer der modernen Malerei, weil sich seine Landschaftsbilder beinahe in pure und abstrakte Farbe auflösen. Oder seine Wellenbilder und Strandansichten bereits dem impressionistischen Moment verpflichtet sind.
Eine überzeitlich schöne Ausstellung, die dem schmutzigen Kampf um Aufmerksamkeit ganz enthoben zu sein scheint. Der Stratege Courbet hätte daran bestimmt seine Freude gehabt.