«Wir zeigen die Welt, Bild für Bild.» Das wollen Urban Sketchers. Und so steht es in ihrem Manifest geschrieben, das insgesamt acht Kriterien beinhaltet. Das Manifest ist kein künstlerisches Korsett, sondern fungiert als Leitplanke für die Zeichner, die mittlerweile über den ganzen Globus verstreut «Urban Sketching» betreiben. Zeichnen, was der Moment bietet.
Und diese Ansichten werden geteilt. Im Internet – dem Medium, dessen digitale Flüchtigkeit im scheinbaren Widerspruch zum Zeichenstift steht, das aber die Bewegung der Urban Sketcher erst möglich gemacht hat.
Über 8000 Mitglieder hat die Flickr-Gruppe «Urban Sketchers». Auf mehr als 180'000 hochgeladenen Skizzen tauschen die Zeichner ihren Blick auf die Welt aus. Ein Tunnel in London, eine Strassenkreuzung in Seoul, ein lachender in Junge in Israel.
Das Unscheinbare sichtbar machen
Das Unscheinbare interessiert die Zeichner. Das, was auf den ersten Blick uninteressant scheint: «Dinge, die schon tausendmal fotografiert worden sind, reizen mich nicht», sagt André Sandmann, leidenschaftlicher Urban Sketcher und Mitbegründer des Schweizer Blogs: «Interessant ist das Versteckte, das, an dem andere Leute vielleicht vorbeigehen.»
Er selbst zeichnet täglich auf dem Weg zu seiner Arbeit als Grafiker. Er hat nur zehn Minuten Busfahrt. Das muss reichen. Darin liegt auch der Reiz. Fertig sein, bevor sich der Moment verflüchtigt. Oder Sandmann am Ziel ist.
Urban Sketchers wollen keine perfekte Zeichnungen. Sie wollen Zeichnungen, in denen auch das Unperfekte Platz hat. Damit befinden sie sich in guter Gesellschaft: Schon Goethe war ein äusserst produktiver Zeichner und rief dazu auf, weniger zu reden! Und dafür mehr zu zeichnen. Ist Urban Sketching also nur ein alter Hut, geschmückt mit den neuen Federn des urbanen Vokabulars?
Slow Food, Slow Pictures
Links zum Thema
«Man kann es durchaus auch mit anderen Bewegungen vergleichen», sagt André Sandmann. «Mit Slow-Food, statt Fast-Food, beispielsweise. Beim Urban Skechting geht es auch darum, etwas bewusst auszusuchen.» Es geht darum, sich Zeit zu nehmen für den Moment, und dadurch Neues zu entdecken.
Davon berichtet auch Gabriel Campanario aus Seattle. Er ist der eigentliche Begründer der Bewegung. Immer wieder musste er sich nach Umzügen an neuen Orten zurecht finden. Er fühlte sich verloren in grossen unbekannten Städten. Durch das Zeichnen schliesslich fand er einen Weg, sich schnell einzuleben: «Mit jeder neuen Zeichnung verstehe ich die Stadt besser», schreibt Campanario über seine zeichnerischen Ausflüge in Seattle.
Urban Sketching ist Wahrnehmungsschulung. Die Zeichnung ist eine langsame und analoge Gegenthese zum schnellen Handybild. Einzigartigkeit statt austauschbare Bilderflut. Urban Sketching ist eine Gegenbewegung. «Das Sujet, das ich im Bus wohl am meisten gezeichnet habe, sind Menschen, die auf ihr Handy schauen», sagt André Sandmann. Er schmunzelt.