Das Paradies stellt man sich gern als blühenden Garten vor. Bei Meret Oppenheim, die vor 100 Jahren geboren wurde, spriesst und grünt dieser Garten im Verborgenen. 1940 malte sie ein Bild mit dem Titel «Das Paradies ist unter der Erde». Es zeigt einen Brunnen, in dessen Schacht ein Baum wächst. Doch wächst er nicht aus der Erde hinaus, sondern in sie hinein. Der Baum, dessen mächtige Krone sich im Dunkeln der Erde ausbreitet, steht als Symbol für das Unterbewusstsein, aus dem Meret Oppenheim ihre Ideen schöpfte.
Die Basler Künstlerin Sonja Feldmeier setzt das Bild Meret Oppenheims in eine Skulptur um, die in der Grünanlage am St. Alban-Tor installiert ist. Zu sehen ist kaum mehr als eine schwarze Struktur, die wie verkohlte Wurzeln aussieht. Die eigentliche Skulptur bohrt sich Hohlraum in die Erde, als wachse ein Baum ins Erdinnere hinein.
Mit der Natur verbunden
Die Skulptur am St. Alban-Tor ist eine von 21 Positionen, die in der Ausstellung «Das Geheimnis der Vegetation» zu sehen sind. Das von Silvia Buol und Simon Baur kuratierte Projekt ist als Hommage an Meret Oppenheim konzipiert, die einen engen Bezug zu Basel hatte.
Meret Oppenheim hatte zeitlebens auch eine enge Beziehung zur Natur. So entstand bei den Kuratoren die Idee, Kunstschaffende anzuregen, sich mit der Kunst von Meret Oppenheim in Zusammenhang mit der Natur zu auseinanderzusetzen. Die Arbeiten sind in Parkanlagen und im Botanischen Garten installiert, aber auch in privaten Vorgärten und verborgenen Innenhöfen. Beim Kunstrundgang durch Basels Grünflächen lassen sich faszinierende und gut in den Ort eingepasste Arbeiten entdecken.
Geträumte Bilder
Eine dieser Arbeiten ist das Baumobjekt am St. Alban-Tor. «Sleeping Tree» heisst es anspielungsreich, schliesslich wird auch im nächtlichen Traum das Unterbewusstsein aktiv. Meret Oppenheim hat sich für ihre Werke oft von Träumen inspirieren lassen. 1972 malte sie ein Bild, das auf einen Traum zurückging, den sie als junge Frau hatte. Sie sah sich in diesem Traum einen Berg hinaufgehen und oben ihre Freundin Irène Zurkinden in einem sonnendurchschienenen Gebüsch stehen. Zurkindens blonde Haare hatten einen grünen Schimmer und Meret Oppenheim sagte im Traum: «Ich bin das Geheimnis der Vegetation».
Dieses Bild, das der Ausstellung in den Basler Gärten und Grünanlagen ihren Namen gibt, zeigt einen von Schlangen gerahmten Schacht, in dem grüne und weisse Blätter in einem hellen Lichtschein aufsteigen oder niederfallen. Ähnlich wie im Bild vom «Paradies unter der Erde» öffnet sich ein geheimnisvoller Raum, der das Unterbewusstsein, den verborgenen Keim der Kreativität, darstellt.
Schlangen, Wolken und Insekten tauchen in Meret Oppenheims Arbeiten immer wieder auf. Sie symbolisieren das Geheimnisvolle in der Natur, das Unergründliche, das die Künstlerin als Spiegel für das nicht minder geheimnisvolle Innenleben des Menschen sah.
Doch Meret Oppenheims Interesse an Natur und Gärten hatte auch ihre praktischen Seiten. Co-Kurator Simon Baur erzählt vom Briefwechsel zwischen der Künstlerin und ihrem Bruder, in dem die Frage, wo Geranien am besten gedeihen, im Schatten oder in der prallen Sonne, ausführlich diskutiert wurde.
Dokumente wie diese belegen, dass bei Meret Oppenheim «ein Interesse an der Natur und am sorgfältigen Umgang mit der Natur» bestand, so Simon Baur.