Es gibt diese Legende über Beuys, die sich bis heute hartnäckig hält: Als der junge Joseph Beuys im Zweiten Weltkrieg über der Krim abgeschossen wird – er ist Bordfunker einer JU 87 – retten ihn die Tataren. Sie reiben ihn mit Fett ein, wickeln ihn in Filz und pflegen ihn acht Tage lang gesund. Diese Opfersaga eines jungen deutschen Soldaten erzählte Beuys immer wieder.
Filzdecken statt Tataren-Filz
Sie diente ihm als eine Art Läuterung von seiner Zeit im Krieg. Denn immerhin war er aktives Mitglied der Hitlerjugend, trat freiwillig in Hitlers Armee ein, diente als Berufssoldat und wollte Pilot werden – auch wenn er es nur zum Bordfunker brachte. Die Geschichte mit den Krimtataren war für Beuys rückblickend das Ende des Soldaten und der Anfang des Künstlers, der mit Fett und Filz die beiden wichtigsten Materialien seiner Kunst fand.
Man ist sich inzwischen sicher, dass Beuys diese Geschichte erfunden hat. Sein Name tauchte nämlich einen Tag nach seinem Absturz im Bericht eines deutschen Militärlazaretts auf. Also nicht Tataren-Filz, sondern Lazarett-Filzdecken.
Beuys ein «ewiger Hitlerjunge»?
Links zum Thema:
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Schon zu seinen Lebzeiten zweifelte man an dieser Geschichte. Und immer mal wieder fragte man sich, ob man sie nicht einfach für einen tollen Mythos einer Künstlergeburt halten soll. Ein deutscher Soldat von «Wilden gerettet», in einer Art schamanischem Heilungsverfahren gepflegt und sozusagen «gereinigt» wieder auferstanden? Besser kann man sich kaum von einer zweifelhaften Vergangenheit befreien.
Oder aber, und darum geht es auch jetzt wieder, verbarg sich dahinter die Unfähigkeit von Beuys, sich mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen? War er der «ewige Hitlerjunge», wie es der Kunsthistoriker Beat Wyss vor ein paar Jahren in seinem gleichnamigen Essay beschrieb? Und sind seine Aktionen, die sich immer wieder am Germanenkult und an völkischen Ideen anlehnten, rückwärtsgewandt und braun eingefärbt?
Alt-Nazis und Rudolf Steiner
Es sind solche Fragen, die der Autor Hans-Peter Riegel in seiner Biographie über Beuys immer wieder stellt. Riegel, ehemaliger Werber und in jungen Jahren Assistent von Jörg Immendorff, legt ein 600seitiges Buch vor, das detailreich das Leben von Beuys nacherzählt: von den frühen Kriegserfahrungen über seine legendäre Professur an der Düsseldorfer Kunstakademie bis hin zum politisch engagierten internationalen Kunstpriester. Das Buch ist zusammenrecherchiert aus früheren Biografien, Gesprächen mit Beuys-Kennern und offiziellen wie auch inoffiziellen Dokumenten über sein Leben.
Auffallend sind zwei Punkte: Riegel behauptet, das Umfeld von Beuys sei in den 1970er Jahren voll gewesen von Alt-Nazis. Er weist nach, dass einige Figuren sowohl in seinem künstlerischen, aber vor allem auch in seinem politischen Wirken eine rechtsnationale bis rechtsextreme Position vertraten. Und – auch das wusste man schon, ist aber in dieser Form neu – Beuys hätte sich in seiner Kunst vom Anthroposophen Rudolf Steiner nicht nur inspirieren lassen, sondern sich regelrecht seiner Glaubenssätze bedient und sie in seiner Kunst und seinen Vorträgen verkünden wollen.
Ein esoterischer Missionar?
HP Riegel legt Dokumente vor, die einen der grossen Beuys Sammler, den Wella-Unternehmer Karl Ströher, als einen eifrigen Unterstützer der NSDAP darstellt, der Zwangsarbeiter anstellte und dafür auch verurteilt wurde. Beuys' persönlicher Sekretär, Karl Fastabend, der für ihn in den 1970er Jahren die Reden schrieb und sein Büro betrieb, war anscheinend ein Nazi der ersten Stunde. Und Verbindungen zu Leuten wie August Haussleiter, den Beuys an verschiedenen anthroposophischen Kongressen traf und für den Beuys als Kandidat seiner Partei AUD kandidierte, sollen darauf hinweisen, dass Beuys mit rechtem Gedankengut liebäugelte. Die AUD, die Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher, galt damals als eine rechtsextreme Partei, mit grünem Anstrich.
Noch weiter geht Riegel mit seinem Versuch, Beuys als Wiedergänger von Rudolf Steiner zu sehen. In unzähligen Vergleichen setzt er Steiners Thesen den Vorträgen von Beuys gegenüber und kommt zum Schluss, hier hat sich einer nicht einfach inspirieren lassen, sondern sich als Missionar einer esoterischen Weltanschauung verstanden.
Affinität für Okkultes und Ganzheit-Theorien
Solche Passagen im Buch sind zäh zu lesen und die Frage, ob Beuys ein Sektierer war oder sich Steiners Thesen für seine Zwecke ausgeliehen hat, lässt sich wohl nicht ganz schlüssig beantworten. Bedeutsam aber ist, dass die schillerndste Person der deutschen Nachkriegskunst von ziemlich abstrusen Thesen beeinflusst war. Und man sich als Kunsthistoriker oder als Museum die Frage stellen sollte, wo genau das Avantgardistische an Fettstühlen, Honigpumpen und Filz liegt.
Beuys war ein Kind des Zweiten Weltkriegs, die Nazipropaganda hatte ihn geprägt. Dass sie ihn bis nach den Krieg begleitete, ist unwahrscheinlich: Er war weder Nazi noch Antisemit. Aber Dinge wie Germanenkult, Deutschtum und der heilige deutsche Boden waren Teil seines Denkens, wie auch eine Art nationalistisches Pathos. Seine Vorstellung eines Heilungsprozesses der Gesellschaft waren die Grundlagen für seine Affinität für Okkultes und für Steiners Theorien der Ganzheit.
Die Anfänge der Grünen
Riegels Buch ist auch dort interessant, wo Beuys eigentlich eine Nebenrolle spielt, nämlich bei der Entstehung der Grünen Partei. Riegel beschreibt, wie die Grünen nicht nur aus Linken, sondern ziemlich stark aus rechtsnationalen Kreisen hervorgegangen sind, die sich Ökologie, Natur und Lebensschutz ins Parteiprogramm geschrieben haben. Ein Zeichen der Zeit, das auch Beuys zu nutzen wusste.