Kräftige Farben und Formen, abstrahierte Blumenwiesen, Landschaften mit tiefem Horizont und einem wilden Himmel darüber. Oder Portraits von Menschen, die Josef Gnädinger in Afrika getroffen hat: Mathias Gnädinger, ganz in schwarz gekleidet, wandert langsam und aufmerksam durch die Ausstellung seines Onkels. «Es ist unglaublich. Ich bin ganz stolz», sagt er sichtlich berührt.
Einander das Hinterteil entgegenstrecken
Stolz ist er auf seinen Onkel Seppel, wie er ihn nennt, der in Ramsen Kleinbauer war. Ab den 1960er-Jahren arbeitete der Onkel während 17 Jahren in Afrika. Dort malte er, genauso wie später, als er zurück in Ramsen war.
Dann bleibt Mathias Gnädinger stehen, vor einem grossen querformatigen Bild, das er Josef Gnädinger abgekauft hat. Zu sehen sind vier weisse Schafe auf einer saftig grünen Wiese.
Mathias Gnädinger mag dieses Bild, das sonst in seiner Stube in Stein am Rhein hängt: «Drei Schafe schauen nach links, eines nach rechts. Und sie halten einander das Hinterteil entgegen.» Das habe etwas mit ihm selber und auch mit Seppel zu tun. Mathias Gnädinger: «Anstatt die Stirn gegeneinander zu drücken, sagt das eine Schaf ‹Leck mich am Füdli›, und dreht sich um. Die anderen Schafe schauen hinterher.»
Ferien waren Heu-, Ernte- und Kartoffelferien
Ruhig und auf seinen Stock gestützt wandert der heute 73-jährige Mathias Gnädinger weiter durch die Ausstellung. Er erinnert sich: «Ich wohnte direkt neben meinem Onkel. Ich bin zu einem grossen Teil bei ihm aufgewachsen, denn so war bei uns zuhause einer weniger am Tisch.» Der Onkel hatte einen kleinen Bauernhof mit zwei, drei Kühen. Mit denen hätten sie damals geackert und gefuhrwerkt. Ferien waren für Mathias Gnädinger damals die Heu-, die Ernte- und die Kartoffelferien. Arbeit war angesagt.
Doch er habe viel gelernt vom Seppel, sagt der Schauspieler. Er habe ihm beim Malen zugeschaut, und dabei, wie er in der Stube Holz- und Linolschnitte machte. Vielleicht habe ihm Seppels Kunst den Anstoss gegeben, eine Schriftsetzerlehre zu machen.
Der buchstäbliche Tritt in den Hintern
Und mehr noch, so Gnädinger: «Er war es, der mich letzten Endes auf die Schauspielschule gebracht hat. Er hat gemerkt, dass mir der Beruf des Schriftsetzers nicht ganz genügte.» Eines Tages sei der Onkel zu ihm gekommen und habe gesagt, dass er in drei Wochen im Bühnenstudio zur Aufnahmeprüfung erwartet werde. Er sei schon angemeldet. «Das war dann der buchstäbliche Tritt in den Hintern, damit ich wirklich dahin ging.»
Aus dem Neffen Mathias Gnädinger wurde dann tatsächlich ein Schauspieler. Ein erfolgreicher. Später, im Frühling 1990, porträtierte Josef Gnädinger seinen vielbeschäftigen Neffen. Mit dabei war auch ein Team des Schweizer Fernsehens, das den Entstehungsprozess des Bildes für ein Porträt über Mathias Gnädinger filmte.
Ein Porträt ohne Gesicht
Der Onkel zeichnete seinen Neffen mit mächtigem, schwarzen Körper. Das gemalte Gesicht pinselte er wieder durch. Auf Mathias Gnädingers Frage warum, sagte er: «Ein Schauspieler hat nur ein Gesicht, wenn er eine Rolle spielt. Und wenn du einmal eine anständige Rolle gespielt hast, kriegst du das Bild.»
Die richtige Rolle kam dann einige Jahre später: Sir Toby in Shakespeares «Was ihr wollt» im Jahr 1996. Onkel Seppl schenkt Mathias Gnädinger das imposante dunkle Portrait. Nun ist es vorübergehend im Museum Allerheiligen in Schaffhausen zu sehen.
Sendung: Radio SRF 4, Echo der Zeit, 28.11.2014, 18:00 Uhr.