Mitten in der Stadt Genf befand sich im Zollfreilager jahrelang ein Bild mit umstrittenen Besitzverhältnissen: Das Gemälde «L'homme assis appuyé sur une canne» von Amedeo Modigliani wurde 1939 vermutlich einem französischen Juden geraubt. Der Erbe versuchte bisher vergeblich, es zurückzuerhalten, denn der wahre Besitzer verbarg sich hinter einer Scheinfirma. Wie die Panama-Papiere nun zeigen, ist der Eigentümer der bekannte Kunsthändler David Nahmad.
Der Fall ist Wasser auf die Mühlen aller Kritiker, die in Zollfreilagern einen Hort für den illegalen Kunstmarkt sehen. «Der Trend zeichnet sich ab, dass Zollfreilager für dubiose Machenschaften missbraucht werden», sagt der Kunstrechtsexperte Andrea Raschèr.
Heikle Angelegenheit
Was tun die zuständigen Behörden, um Raubkunst oder illegal gehandelte Kulturgüter in Zollfreilagern aufzuspüren? Es scheint, als ob jeder froh wäre, sich in dieser Sache nicht selbst äussern zu müssen. Die Eidgenössische Zollverwaltung verweist auf das Bundesamt für Kultur (BAK) als federführende Behörde in dieser Frage. Das BAK wiederum schreibt, die Zollverwaltung sei für die Kontrollen zuständig.
Zurück also zur Zollbehörde: Welche Möglichkeiten hat sie, um Raubkunst in den Schweizer Zollfreilagern aufzuspüren, wo Güter verschiedenster Art im geschätzten Warenwert von über 100 Milliarden Franken unversteuert und unverzollt zwischengelagert werden? «Wir können die Bilder bei der Einlagerung kontrollieren», sagt Karin Märki von der Sektion Aufgabenvollzug bei der Oberzolldirektion. «Und wir können in der Bestandesaufzeichnung nachschauen, was eingelagert ist.» Die Angaben des Einlagerers geben allerdings nicht unbedingt einen Hinweis darauf, ob es sich um Raubkunst oder illegal gehandelte Kulturgüter handelt, denn das deklariert niemand freiwillig auf dem Etikett.
Es fehlt an Transparenz
Kürzlich wurde die Bestandesaufnahmepflicht verbessert: Seit Januar 2016 muss der Eigentümer aufgeführt sein. Doch wenn als Eigentümerin eine in Panama ansässige Off-Shore-Firma fungiert, wie im Fall des Modigliani-Bildes, schafft auch diese Angabe keine Transparenz. Wie also kommt überhaupt ein Verdachtsmoment zustande, das die Zollbehörden zum Handeln veranlasst? «Um Kontrollen vorzunehmen, müssen wir Hinweise von anderen Stellen bekommen, etwa aufgrund von Rechtshilfegesuchen oder Strafuntersuchungen», sagt Karin Märki. Fehlen solche Hinweise, können einzig Stichproben zielführend sein. Entscheidend für die Häufigkeit seien Risikoanalysen, je nach Herkunft und Eigentümer der gelagerten Güter. Genaue Zahlen dazu gibt es nicht.
Keine Ressourcen für mehr Stichproben
Es bräuchte mehr Stichproben, um den Missbrauch der Zollfreilager für dubiose Zwecke zu verhindern – das fordern Kunstrechtsexperten wie Andrea Raschèr und die eidgenössische Finanzkontrolle schon seit Längerem. Doch dafür, sagt Karin Märki, fehle der Zollverwaltung das Personal: «Wir haben nicht die Ressourcen, um mehr zu kontrollieren.»
Ende der Diskussion? Soll alles bleiben, wie es ist, und die Schweiz ihren Ruf als Drehscheibe für den illegalen Kunstmarkt behalten? «Da die Risiken der Zollfreilager offensichtlich sind, wäre es angezeigt zu handeln», sagt Raschèr. Nicht nur die Stichproben müssten intensiviert werden, sondern es bräuchte auch eine Gesetzesänderung: «Nicht nur der Eigentümer von eingelagerten Kunstgegenständen müsste aufgeführt werden, sondern der wirtschaftlich Berechtigte. Damit würde man die Umgehung über Panama-Gesellschaften verhindern». Dann könnten sich bekannte Kunsthändler wie David Nahmad nicht hinter einer Scheinfirma verstecken, um ein mutmassliches Raubkunstbild den Restitutionsansprüchen zu entziehen.
Sendung: «Kultur Kompakt», SRF 2 Kultur, 14. April, 17.00 Uhr