Das Thema Raubkunst beschäftigt die in Ostdeutschland aufgewachsene Historikerin Monika Tatzkow seit bald 25 Jahren. So war sie auch am Kampf um eine der weltweit ersten Kunstrückgaben nach den Washingtoner Abkommen beteiligt. Vor allem für die «verfolgungsbedingten Verluste» hat Monika Tatzkow ein feines Sensorium: Für jene Kunstwerke, die jüdische Sammler verkauften, um ihre Flucht zu finanzieren oder die sie ins Exil mitnahmen: Sogenanntes Fluchtgut.
Raubkunst oder Fluchtgut?
Für die Wissenschaftlerin ist klar: Die jüdischen Sammler hätten ihre Kunstwerke ohne die NS-Verfolgung in den meisten Fällen nicht verkauft. «Angesichts der historischen Tatsachen scheint mir nicht plausibel, dass die Washingtoner Prinzipien für Raubkunst Anwendung finden, nicht aber für Fluchtgut», erklärt Monika Tatzkow. Darum sei die Unterscheidung zwischen Raubkunst und Fluchtgut falsch.
Die Schweizer Historikerin Esther Tisa Francini plädiert für einen ehrlichen Umgang mit den Begriffen. Raubkunst seien konfiszierte und zwangsversteigerte Kunstwerke, im Gegensatz zu Kunstwerken, die von jüdischen Sammlern in Sicherheit und auf dem freien Markt verkauft wurden. Wenn dieses Fluchtgut plötzlich mit Raubkunst gleichgesetzt werde, käme es zu einer Explosion und Anarchie der Restitutions-Ansprüche, befürchtet die Provenienzforscherin und Mitherausgeberin des Buches «Fluchtgut – Raubgut» (2001). Esther Tisa Francini: «Ich frage mich, ob beim Fluchtgut die Forschung und die Publikation der Forschungsergebnisse nicht die sinnvollere Art der Vergangenheitsbewältigung ist.»
Anarchie der Restitutions-Ansprüche befürchtet
Über diesen Vorschlag staunt der Anwalt Olaf Ossmann, der viele jüdische Familien beraten und in Rückerstattungsfragen vertreten hat. Das Forschen, das Publizieren und das Vernetzen der Erkenntnisse sei eine Selbstverständlichkeit. Er erinnert daran, wie prekär und bedrohlich die Situation damals zwischen 1933 und 1945 für Jüdinnen und Juden war.
Von einem Kunstmarkt mit handelsüblichen Preisen könne man aufgrund des Druckes nicht sprechen. Ossmann fordert darum, dass die Washingtoner Prinzipen, nämlich «angemessene und faire Lösungen zu suchen und zu finden», auch auf das Fluchtgut zu übertragen sei.
Das Geschäft mit der Restitution
Der Schweizer Anwalt Alexander Jolles lächelt verständnisvoll, schüttelt dabei aber den Kopf. Im Washingtoner Abkommen sei damals, 1998, klar die Rede von «Nazi-confiscated art» die Rede gewesen. Eine Gleichsetzung mit Fluchtkunst erweitere die Interpretation unzulässig und gefährde somit die Rechtssicherheit.
Warum also die zunehmenden Bemühungen, Fluchtgut mit Raubkunst gleichzusetzen? Alexander Jolles bringt das Stichwort «Restitutions-Geschäft» ins Spiel. «Das ist natürlich eine etwas üble Unterstellung, aber aus Schweizer Sicht kann nicht geleugnet werden, dass dieses Geschäft ein Aspekt sein könnte.»