Das gerade angefangene Jahr macht den Eindruck, dass es mit der Welt nicht zum besten steht.
Monica Ursina Jäger: Ja, 2015 ist ein verunsicherter Anfang gewesen. Das hat viele Fragen aufgeworfen. Ich habe mich selbst auch gefragt: Was sind meine Bilder eigentlich? Sind es Zukunftsszenarien? Oder im schlimmsten Fall eine «self fulfilling prophecy»?
Link zum Artikel
Ihre Landschaften wirken ungemütlich, fast bedrohlich.
Ja, sie entsprechen definitiv nicht einem Winterkurort-Prospektbild. Es sind eher unheimliche Landschafsbilder. Orte, bei denen man sich nicht sicher ist, ob man sich dort wiederfinden will. Schon gar nicht allein. Aber mit der Distanz des Betrachters faszinieren sie mich sehr.
Wo finden Sie ihre Motive?
Viele finde ich in meiner unmittelbaren Umgebung, wie zum Beispiel die Sihlhochstrasse in Zürich. Ein Unort, den ich in seiner Absurdität faszinierend finde. Eines der Versatzstücke, das ich in einer meiner Collagen verwende, ist der Terminal 3 des Changi-Airports in Singapur. Ich begegnete dem Bild und fand, dass es wie ein Filmset aussieht. Meine Collagen bestehen aus vielen verschiedenen landschaftlichen und architektonischen Elementen. Bei mir treffen sie an einem Ort und zu einer Zeit zusammen.
Warum gerade Collagen?
Die Collage ist immer ein Gedanken- und Bildexperiment. Ich kann Welten selber erfinden und gestalten. Und dabei überprüfen, welche Gefühle in mir entstehen. Im besten Fall sind es ambivalente Gefühle. Kein eindeutiges Gefühl von Angst, sondern mehr eines von Unbehagen, Faszination, Irration – gemischte Gefühle.
Sie selbst bezeichnen die Welten, die Sie in Ihren Bildern schaffen, als «Distopien».
Ja. «Distopie» ist ein Wort, das in der englischsprachigen Welt viel mehr Tradition hat als im Deutschen. Es ist das Gegenteil einer Utopie, also dem Idealzustand eines Staates. Eine Distopie zeigt eine Gesellschaft in einem schlechten Zustand – eine Welt, die sich zum Negativen entwickelt. An der Distopie finde ich interessant, dass sie immer das Potenzial hat, das Ruder nochmal herumzureissen. Alles kann sich immer wieder zum Positiven wenden. Es ist nicht das Ende der Welt, keine Apokalypse.
Entspricht das Ihrem Lebensgefühl?
Ich glaube, wir haben heute gelernt, dass die Utopien, die man sich am Anfang des 20. Jahrhundert oder noch in den 1960er- und 70er-Jahren erdacht hat, sich nicht erfüllen. Auch der ungebremste Optimimus der Technik gegenüber hat sich getrübt. Wir leben heute in viel ambivalenteren Zeiten: Ich kann mir beim besten Willen nicht ausmalen, wie es wirklich gut herauskommen könnte. Aber gleichzeitig haben wir ja doch einen Lebenswillen und eine Lebensfreude.
Wenn man die Bilder betrachtet, entdeckt man auch Architektur aus den 1960er- und 70er-Jahren.
Mich berührt, dass es eine Zeit war, die sehr optimistisch war: die Zeit der ersten Flüge zum Mond, als man das Gefühl hatte, alles sei möglich. Man könne eine neue Welt erfinden. Teilweise ist diese Architektur dann auch gebaut worden, etwa in Japan von den Metabolisten. Oder das «Barbican»-Centre in London: eine Stadt in der Stadt, die heute immer noch steht und funktioniert. All diese Orte haben Zeiten erlebt, in denen man sie als düster, unangenehm, sogar unsozial empfunden hat. Viele hat man auch richtig vergammeln lassen, wie das «Habitat 67» in Montreal. Und so sahen sie dann wirklich aus: wie eine Realität gewordene Dystopie. Erst in den letzten Jahren hat man wieder den Wert dieser Bauwerke wieder erkannt, hat sie saniert und kann ihnen wieder sehr viel abgewinnen.
In Ihren Bildern wohnt die Hoffnung gleich neben dem Weltuntergang?
Ich verwende auch den Begriff «Utopie» immer wieder. Aber ich gebrauche ihn sehr vorsichtig, mit einem grossen Fragezeichen. Und im Bewusstsein darum, dass der Utopie etwas sehr Naives anhaftet. Etwas sehr Träumerisches, Tagträumerisches. Das hat seine Berechtigung. Aber so, wie ich die Welt letztlich empfinde, entspricht die Distopie meiner Wahrnehmung der Welt.