Zürich hat eine Sophie Taeuber-Strasse, St. Gallen hat einen Taeuberweg. Im appenzellischen Trogen aber, wo die 1889 geborene Sophie Taeuber ihre Kindheit und Jugend verbrachte, findet sich als einziges Zeichen eine kleine Hinweistafel vor einem Haus. Dort hatte die Künstlerin die letzten sechs Jahre gelebt. Aufgestellt wurde die Tafel auf Initiative eines Künstlers und einer nachgeborenen Verwandten im Jahr 1995 – dem Jahr, als die 50-Franken-Banknoten mit Sophie Taeubers Porträt gedruckt wurden. Während viele Gemeinden keine Gelegenheit verpassen, auf bedeutende Künstler aus ihren Reihen aufmerksam zu machen, steht auf der Website der Gemeinde Trogen zu Sophie Taeuber: nichts.
Irgendwie sei der Taeuber-Funke in Trogen bis heute nicht übergesprungen. Das sagt der Trogener Gemeindepräsident Niklaus Sturzenegger in einem Radiobeitrag im Ostschweizer Regionaljournal. Die Begründung für ihn ist die, dass sich in Taeubers Werk kein Bezug zu Trogen ausmachen lasse. Die Aussage erstaunt. Heidi Eisenhut, Historikerin und Leiterin der Kantonsbibliothek in Trogen, relativiert: «Sophie Taeuber arbeitete abstrakt, da erwarte ich in ihren Bildern keine Kühe am Berg von Trogen.»
Internationales Flair und Webstühle
Blickt man auf das Werk und in die Biographie von Sophie Taeuber, lassen sich tatsächlich Bezüge herstellen zu ihrer Herkunft. Taeubers Mutter, Sophie Taeuber-Krüsi, zeichnete, entwarf Porzellan, fotografierte und führte im Trogener Quartier ‚Boulevard du Sud’ eine Pension für Gymnasiasten. Im Palazzo gegenüber gingen in der Kuranstalt von Taeubers Onkel Kinder aus aller Welt ein und aus. Auch Sophie war häufig da, da war Raum zum Experimentieren, man musizierte, machte ‚soirées dansantes’, spielte Theater. Sophie probierte schon damals völlig freie und unkonventionelle Tanzformen aus. Später tanzte sie an Dada-Soiréen in Zürich ausgefallene Choreografien in selber genähten Kostümen, wie auch der Dokumentarfilm «Die bekannte Unbekannte – Sophie Taeuber-Arp» zeigt.
Zudem war das heute 1700 Einwohner zählende Trogen damals ein wichtiges Zentrum der Textilindustrie: Fast in jedem Keller war ein Webstuhl zu finden, die junge Sophie Taeuber wuchs in einer webenden und stickenden Dorfbevölkerung auf – die gleichzeitig über den Textilhandel international verbunden war.
Die Historikerin Heidi Eisenhut ist überzeugt, dass dieses textile Umfeld Taeuber auch für ihre Bilder geprägt hat: «Beispielsweise ihre Darstellungen mit Linien, die sich krümmen, erinnern mich stark an abgeschnittene Fäden, die in einem Webkeller am Boden liegen und Muster bilden. Ihr Werk sieht aus, wie wenn sie solche Muster aufgegriffen und neu komponiert und kontextualisiert hätte.»
Das Abstrakte bereits im Stoffdesign
Auch die Schriftstellerin Sabine Wang, die in Trogen zur Schule ging, sieht Bezüge zwischen Taeubers Jugend im textilen Kontext von Trogen und ihrem Schaffen: «Webtoffe haben eine horizontal-vertikale Struktur. Auch Sophie Taeubers erste künstlerische Arbeiten waren Horizontal-/Vertikalkompositionen. Im Textilen war das Abstrakte schon vorhanden, das Taeuber dann in die freie Kunst übertragen hat.»
Sabine Wang nennt auch die Musterbücher der Textilfabrikanten als Beispiel: «Da finden sich sämtliche Muster in mehreren Varianten und Farben. Das erinnert mich persönlich an Taeubers Farbstudien und ihr systematisches Untersuchen von einfachen Grundformen; es könnte sein, dass sie solche Bücher einmal gesehen hat.»
Ohne Einzelinitiativen geht es nicht
Dass der Bezug zwischen Trogen und Sophie Taeuber stärker als nur mit einem Tafel vor einem Haus sichtbar wird, dafür hatte bisher jemand von aussen gesorgt: Eine Privatperson kaufte vor einigen Jahren das Haus, das Sophie Taeubers Mutter gebaut hat und in dem die Künstlerin aufgewachsen ist. Der neue Besitzer baute es um im Stil von Sophie Taeubers Innenarchitekturen. Daneben gestaltete er eine ausführliche Website mit Informationen zur Künstlerin, dem Haus und zu Trogen. Kürzlich wurde das Haus wiederum an eine Privatperson verkauft, die es vorerst nur für sich nutzen möchte. Spätere öffentliche Verwendungen könne sie sich aber vorstellen.
Damit in Trogen der Taeuber-Funke so richtig aufglimmen könnte, ist wohl weiterhin die Initiative einzelner Menschen gefragt. Das Interesse der Gemeinde an ihrer bedeutenden Künstlerin ist bis anhin gering. Und der Kanton Appenzell Ausserrhoden hat erst im Jahr 2008 eine Kulturbotschaft verabschiedet – als letzter aller Schweizer Kantone, ähnlich wie beim Frauenstimmrecht, das in Ausserrhoden im Jahr 1989 und in Innerrhoden 1990 eingeführt wurde.
Eine Bühne zum Jubiläum
Einen Anlass, an ihre bedeutende Künstlerin zu erinnern, hat der Kanton aber wahrgenommen: 2013, zum 500 Jahr-Jubiläum der beiden Appenzell, gab er bei der Schriftstellerin Sabine Wang eine dreiviertelstündige «Ahnenrede» zu Sophie Taeuber in Auftrag. Margrit Bürer, die Leiterin des vor sieben Jahren geschaffenen Amts für Kultur dazu: «Die Rede von Sabine Wang war eine von sechs Reden. Für alle wählten wir Appenzeller, die nicht mehr leben, die wir aber als bedeutend für die Entwicklung der beiden Kantone ansehen. Also Menschen, die wir heute auf die Bühne holen würden, wenn sie noch lebten.»