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Malerei: Ein nackter Mann und ein weiss gekleideter bärtiger Herr strecken ihre Hände so gegeneinander aus, dass sich die Fingerspitzen fast berühren.
Legende: Michelangelos «Die Erschaffung Adams»: ein Auftragswerk – so wie der Grossteil zeitgenössischer Kunst. Wikimedia/Jörg Bittner Unna

Kunst Tschüss Autonomie und Freiheit? Kunst auf Bestellung

Zeitgenössische Kunst entsteht aus freien Stücken? Ein beliebtes Missverständnis: Viele aktuelle Werke werden eigens in Auftrag gegeben. Rund 90 Prozent, schätzte Kurator-Guru Hans-Ulrich Obrist schon 1998. Was bedeutet das? Sieben Antworten zu Fragen rund um Auftragskunst.

1. Ist Auftragskunst ein neues Phänomen?

Im Gegenteil! Es ist uralt und war lange Zeit systemerhaltend: keine Aufträge, keine Kunst. Ein Grossteil der Werke, die heute die Kunstgeschichte ausmachen, entstand, weil ein Fürst, ein König, die Kirche oder Zünfte einem Künstler einen Auftrag erteilten. Nicht nur Michelangelos Fresken in der sixtinischen Kapelle, auch Rembrandts Gruppenportraits von Chirurgen oder Nachwächtern und wahrscheinlich sogar da Vincis «Mona Lisa» entstanden für Auftraggeber.

Buchhinweis

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Hanno Rauterberg, der Kunstkritiker der «Zeit», hat zu den Schwierigkeiten, die sich aus dem aktuellen Trend zur Auftragskunst ergeben, ein Buch geschrieben: «Die Kunst und das gute Leben», erschienen bei Suhrkamp, 2014.

Das tut der Berühmtheit dieser Bilder keinen Abbruch. Heute allerdings gehen wir davon aus, dass ein Kunstwerk frei von Vorgaben entsteht, als autonome Schöpfung des Künstlers. Und das, obwohl ein Grossteil der Werke als Auftrag entsteht.

2. Was bedeutet Autonomie?

Während Künstler früherer Jahrhunderte ohne Aufträge von Hof oder Kirche ihre Tätigkeit gar nicht hätten ausführen können, etablierte sich mit dem 18. Jahrhundert die Vorstellung, dass die Kunst frei und unabhängig sei. Und dadurch auch die Möglichkeit habe, gesellschaftskritisch zu wirken.

Schiller, Kant und andere Philosophen entwickelten in ihren ästhetischen Schriften den Gedanken, dass die Kunst keinem anderen Zweck diene, sondern ihren Zweck alleine in sich trage. Parallel dazu veränderte sich der Kunstmarkt: bürgerliche Käuferschichten entstanden, Künstler begannen, sich aus den Auftragsverhältnissen mit Hof und Kirche zu lösen und autonom als selbstständige Unternehmer zu arbeiten.

3. Warum boomt Auftragskunst heute wieder?

Da ist zunächst die Zunahme von Biennalen und Kunstevents, die dazu geführt hat, dass es auch mehr Auftragskunst gibt als noch vor 20, 30 Jahren. Denn die gilt es ja alle auch zu bestücken. Hinzu kommt, dass die Rolle des Kurators prominenter geworden ist. Sie geben die Kunstwerke nicht nur in Auftrag, sondern produzieren sie auch gemeinsam mit den Künstlern. Wie auf der letzten dOCUMENTA XIII in Kassel.

4. Was, wenn sich Künstler und Auftraggeber uneins sind?

Dann kann es auch mal so richtig Zoff geben! Und der wird nicht selten über die Medien ausgetragen. So wie im Falle des holländischen Sammlers Bert Kreuk, der gegen den Künstler Danh Vo vor Gericht zog. Vereinbart war, dass Vo für eine Ausstellung eine neue raumfüllende Installation produziert. Doch der vietnamesich-dänische Künstler lieferte nur eine kleine ältere Arbeit ab.

Licht fällt durch die farbigen Riesenfenster einer Kirche.
Legende: Die Diözese hatte Märtyrer bestellt: das Kölner Domfenster von Gerhard Richter. Keystone

5. Und was, wenn der Künstler etwas anderes liefert als abgesprochen?

Es kommt natürlich immer drauf an, wie überzeugend das Ergebnis ist. In Köln war der Auftrag eigentlich klar: Das Leitungsgremium der Erzdiözese hatte beim Maler Gerhard Richter ein neues Kirchenfenster für den Kölner Dom in Auftrag gegeben. Die Vorgabe: Die bunten, meterhohen Glasfenster sollten Märtyrer des 20. Jahrhunderts schmücken.

Tatsächlich sieht das Ergebnis völlig anders aus als geplant. Und der Kölner Kardinal Meisner schäumte nach der Einweihung 2007 vor Wut. Heute kommen viele der 6000 Touristen, die den Dom jeden Tag besuchen, auch wegen des Richterfensters.

6. Wer schmückt sich mit Auftragskunst?

Neben reichen Sammlern und einflussreichen Kuratorinnen geben auch Konzerne Kunst in Auftrag. So lässt Ringier etwa die Geschäftsberichte jährlich von Künstlerinnen und Künstlern gestalten. Auch der Chemiekonzern Novartis gibt Kunst in Auftrag und schmückt seinen Firmensitz in Basel mit den Werken berühmter Architekten oder Künstler. Das sieht nicht nur schön aus – Kunst ermöglicht es Konzernen auch, sich als liberal zu profilieren. Und als Unternehmen, das sich nicht nur an Profit orientiert.

7. Und was passiert mit Auftragskunst, die niemand mehr haben will?

Kurz vor der Wiedervereinigung liess Herbert Schirmer, der letzte Kulturminister der DDR, alle Kunstwerke aus dem Staatsbesitz der DDR einsammeln: Denkmäler von Karl Marx, Friedrich Engels und August Bebel. In Bronze gegossen oder aus Stein gemeisselt standen sie in Schulen und Amtstuben, vor Arbeiterheimen oder Bibliotheken. Heute füllen sie drei Stockwerke eines alten Getreidespeichers in Beeskow. Insgesamt 23'000 Objekte werden dort aufbewahrt, darunter 1500 Gemälde, 12 Graphiken, 2000 Zeichnungen, Fotografien, Plastiken.

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