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Kunst und Aktivismus Wie ein Zürcher Künstler auf die Drag-Kuh kam

Daniel Hellmann verbindet Tierrechte, Aktivismus und Drag. Entstanden ist eine Kunstfigur, die singt und kritische Fragen stellt.

Der Sänger, Choreograph und Performer Daniel Hellmann lebt seit Kurzem auf dem Lebenshof «Hof Narr» im Zürcher Oberland – einem Bauernhof, der Tieren ein Zuhause bietet, die vernachlässigt wurden oder geschlachtet worden wären. Dorthin geführt hat ihn die Kunst.

Seit ein paar Jahren beschäftigt er sich mit Fragen zum Zusammenleben von Mensch und Tier. Anfänglich war das vor allem intellektuell und ästhetisch. «Irgendwann habe ich gemerkt: Diese Beschäftigung bringt keinem einzigen Tier etwas», sagt Hellmann.

Als er bei einer Performance zehn Legehennen retten konnte, lernte er den «Hof Narr» kennen, absolvierte ein Praktikum und verlegte seinen Lebensmittelpunkt auf den Hof. Trotz dieses Lebenswandels ist er Künstler geblieben.

Mann als bunte, verrückte Kuh verkleidet auf der Bühne
Legende: Als «Soya the Cow» tritt Daniel Hellmann regelmässig auf Bühnen auf. Mit seiner Drag-Kuh will der Künstler kritische Fragen über Konsum, Tiere und Klimawandel aufwerfen. zvg / Olivia Schenker

Vom «Traumboy» zum Veganer

Zum Tier kam er vor rund sechs Jahren, bei seiner Solo-Performance «Traumboy» zum Thema männliche Prostitution. Darin schildert er in einem autofiktionalen Monolog von Erfahrungen als Prostituierter und thematisiert Probleme von Sexarbeitern. «Über Sexarbeit herrscht das Vorurteil, dass Menschen sie nur aus Not machen. Menschen, die das freiwillig tun, ja vielleicht auch geniessen, wird mit Skepsis begegnet.»

Hingegen sei es völlig akzeptiert, Körper von Tieren zu benutzen, so Hellmann. Dieser unterschiedliche Umgang mit Körpern von Tieren und Menschen wollte Hellmann auf den Grund gehen. Er begann über Fleisch zu recherchieren – das an unseren Knochen und das auf unseren Tellern. Das Ergebnis war das Tanzstück «Requiem for a piece of meat». Während der Produktion wurde Hellmann vegan. «Ich war stolzer Vegetarier und dachte, wegen mir stirbt kein Tier.»

Seine Produktionen ecken an: Von einem Theater erhielt Hellmann eine Absage mit der Begründung, dass die Szene, in der eine künstliche Besamung imitiert wird, dem Publikum nicht zumutbar sei. «Ich finde es verrückt. In der Theaterkantine werden Milchprodukte serviert, die nur aufgrund von künstlicher Besamung existieren», so Hellmann. «Ich war total sauer auf die Kunstszene. Alle tun immer so woke – reden von Inklusivität und Klimawandel – aber was wird in den Kantinen serviert? Fleisch!»

Mann im schrillen Kuhkostüm liegt rücklings auf einer Couch und trinkt aus einem Glas
Legende: Kritisch, schrill und dennoch ernst und humorvoll: «Soya the Cow» entstand während eines Aufenthalts für San Francisco. zvg / Maya Rochat

Die «woke» Drag-Kuh

In dieser Sinnkrise erhielt Hellmann ein Stipendium für San Francisco. Inspiriert von der dortigen, stark politisch geprägten Drag-Kultur kreierte er «Soya the Cow». Die feministische, sexpositive, vegane Drag-Kuh singt, rappt, tanzt und provoziert mit kritischen Fragen zu Klimawandel, Tierrecht und Konsum. Zugleich ernst und humorvoll schafft Hellmann mit «Soya» den Spagat zwischen Sinnkrise und Popkultur.

Mit «Soya the cow» will Hellmann Tieren eine neue Stimme verleihen. Das fantastische Mensch-Kuh-Wesen steht mit seinen wechselnden Looks für permanente Veränderung. Mit «Soya» nimmt Hellmann an Strassenprotesten teil, hat eine Bühnenshow «Dear human animals» entwickelt und ein Album «Purple Grass», ein Mix aus Electropop, Rap und Balladen, herausgebracht. Kunst und Aktivismus verbindet er so virtuos und überzeugend.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 25.6.2021, 9:03 Uhr

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