- Ein öffentliches Museum muss sich ein neues Publikum schaffen, sagt der Direktor der Londoner Tate Museen.
- Kunstkritiker Walter Grasskamp bezweifelt, dass die Leute Museen noch besuchen, wenn diese ihre Bestände ins Internet stellen.
- Die Experten sind sich einig: Mäzene sind wichtig, aber ihr Einfluss darf nicht unbegrenzt sein.
Wie bringt man die nächste Generation ins Museum?
Nick Serota: Um junge Leute ins Museum zu bringen, muss man anerkennen, dass zeitgenössische Kunst viele verschiedene Fragen berührt. Nicht nur Kunstfragen, sondern auch Fragen über die Gesellschaft, über die Umwelt, über Migration – die grossen sozialen Themen. Das Museum des 21. Jahrhunderts sollte ein Ort sein, wo Debatte und Diskussion stattfinden können. Es ist kein Tempel, sondern ein Forum.
Walter Grasskamp: Diese Frage ist völlig offen. Es gibt Museen, die ihre Bestände ins Netz stellen, in der Hoffnung, die Leute kämen ins Museum, weil sie das Original sehen wollen. Ich bin skeptisch, ob das funktioniert. Aber interessant daran ist, dass aus einer Institution, zu der man hingehen muss, eine Institution wird, die ins Haus liefert – was ja alle anderen Kulturinstitutionen vorher schon gemacht haben. Das Theater liefert mit dem Fernsehen ins Haus und ins Kino, die Musik liefert mit CDs und Streaming ins Haus. Das Haus ist zur Kulturkonsumhöhle geworden. Nun kann man in die Knie gehen und sagen, wir machen jeden Besucher zuhause zum Kurator. Oder man kann sagen, wir machen das Angebot möglichst verführerisch, so dass die Besucher dennoch herkommen. Ob sie das tun werden, weiss man nicht.
Welche Rolle spielen die Besucherzahlen für das Museum?
Serota: Mit einer Mischung aus grossen Namen und neuaufkommenden Künstlern stellt man die Leute zufrieden, die schon an Kunst interessiert sind. Dann erarbeitet man sich ein jüngeres Publikum und langsam erhöhen sich die Besucherzahlen. Als wir die Tate Modern eröffneten, sagten alle, ihr kriegt nie mehr als zwei Millionen Besucher zusammen. Wir hatten fünf Millionen und haben sie immer noch, obwohl sie zwischenzeitlich zurückgingen. Da wir ein öffentliches Museum sind, haben wir die Verantwortung, ein breites Publikum ins Museum zu holen. Das ist auch der Zweck der öffentlichen Zuschüsse. Es geht nicht um den Kurator, es geht nicht nur um die, die alles schon kennen. Wir müssen neues Publikum schaffen.
Grasskamp: Die Besucheraufmerksamkeit ist meiner Meinung nach zu sehr von der Nachfragementalität der Konsumgesellschaft geprägt. Das Museum war nie nachfrageorientiert. Es ist ein Angebot; ein Bildungsangebot, das sich nicht mit absoluten Zahlen rechnen lässt. Denn was wäre die Quote? Wäre ein Museum selbsttragend, wenn 20 Prozent der Bevölkerung reingehen? Oder könnten es 10 Prozent sein? Die absolute Zahl kann niemand nennen. Das Verheerende an der Quotendiskussion ist: Wenn ein Museum es schafft, mit einer Wechselausstellung 100'000 Leute in einem Jahr reinzuholen und im nächsten Jahr nur 70'000 anlockt – dann gilt das als Nachweis schlechter Arbeit. Das ist einfach dumm.
Welche Bedeutung haben Mäzene und Leihgeber heute?
Serota: Museen spiegeln stets die Gesellschaft, in der sie eine Rolle spielen. Unsere Gesellschaft ist immer weniger bereit, Steuern zu zahlen und öffentliche Institutionen zu fördern. Persönlich bedaure ich das. Aber Mäzene waren schon immer Teil der Kunstwelt. Die Frage ist: Kann man ein Museum, das eine öffentliche Funktion hat, mit öffentlichen und privaten Geldern finanzieren? Und verstehen die Mäzene, dass ein öffentliches Museum eine Verantwortung gegenüber dem Publikum hat und eine andere Rolle spielt als ein privates Museum?
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Grasskamp: Welches Museum hat heute noch die Mittel um repräsentative zeitgenössische Kunst zu sammeln? Selbst die grossen Metropolen-Museen suchen ihre Mittel im Freundeskreis, bei Mäzenen und Förderern, die dadurch einen grossen Einfluss gewinnen. Und so hat sich das Museum als ein Haus erwiesen, indem die eigene Sammlung mit einer fremden gemischt wird, was nicht immer erkennbar ist. Der Einfluss der Spender kann so weit gehen, dass sie sagen, ich gebe euch einen grossen Leihgabenblock, sagen wir 20 Werke eines Künstlers, aber dafür unterschreibt ihr mir, dass ihr eines davon immer in der ständigen Sammlung zeigt. Dann fragt man sich, bis wann? Das Museum ist schon in einer zweiten Phase des Fremderwerbs, wie man es nennen könnte.
Welche Eigenschaften muss ein guter Museumsdirektor mitbringen?
Serota: Jeder Direktor braucht seine Unabhängigkeit und eigene Ideen, die er verwirklichen kann. Die grossen Museumsdirektoren in Basel etwa riskierten immer etwas. Sie kauften Werke, deren Wichtigkeit andere noch nicht erkannt hatten. Als der jetzige Direktor Mendes Bürgi kam, kaufte er Werke, die die Leute am Anfang nicht immer verstanden. Seine Vorgängerin Katharina Schmidt hatte damals Twombly gekauft – er ist heute einer der wichtigsten Namen in der Sammlung. Man muss Mut haben und eine Vision.
Grasskamp: Er muss unabhängig denken und eine historische Bildung haben, die ihn die Gegenwart einschätzen lässt. Ausserdem braucht er gepflegte Umgangsformen. Denn er muss sich mit Reichen, oft auch gebildeten Leuten unterhalten können, so dass alle wissen, er will etwas, aber er soll es nicht zeigen. Das ist eine Kunst, die man beherrschen muss. Und er muss, und das ist schwer, schöne unlautere Angebote abwehren.