In seinem Fotobuch nimmt Peter Pfrunder stets den Blick von aussen ein. Es ist der Blick eines Erwachsenen auf junge Menschen, die dem Betrachter letztlich immer etwas fremd bleiben. «Sie stellen die Gegenwelt dar», sagt Peter Pfrunder, «wir Erwachsenen sind nicht mehr so unschuldig wie die Kinder – aber die Anziehungskraft ist da».
Bei der Auswahl der 167 Fotografien aus der Sammlung der Fotostiftung Schweiz liess sich Peter Pfrunder von der Frage leiten: Wie nähern sich die Fotografen dem rätselhaften Gegenüber an? Besonders eindrücklich kommt dieses «wie» im ersten und letzten Bild im Buch zum Ausdruck.
Kinder zu Komplizen gemacht
Auf dem letzten Bild dokumentierte der Zürcher Fotograf Karlheinz Weinberger 1962 die Halbstarken. Es ist bekannt, dass Weinberger grosse Sympathien für diese Rebellen hegte. Darum erstaunt es nicht, dass die junge Frau mit toupiertem Haar, riesiger Gurtschnalle und der obligaten Jeansjacke sich geradezu rührend cool vor der Kamera präsentiert.
Das erste Bild im Fotoband zeigt vier Kinder, die Roberto Donetta 1927 inmitten gigantischer Pestwurzblätter arrangiert hat. «Donetta war ein sehr kreativer Fotograf, er machte gerne Inszenierungen», sagt Pfunder. Dadurch erreichte er, dass die Kinder ganz selbstverständlich mitspielten und zu seinem Komplizen wurden. Auch das neugierige, forschende und gleichzeitig liebevolle Auge des Fotografen fällt auf.
Wie stellen sich Kinder selbst dar?
Peter Pfrunder verzichtet in seinem Buch auf eine Chronologie. Deshalb prallen immer wieder Bilder aufeinander.
Da ist die Szenerie von Béatrice Devènes (2007): In einer verschmierten Tiefgarage steht ein Jugendlicher mit einem Handy, der gleichzeitig ein kleines Mädchen mit Puppenwagen im Blick hat. Daneben ist ein Bild aus den 1940er-Jahren von Emil Brunner: das Porträt zweier Buben, die vermutlich Kühe gehütet haben.
So unterschiedlich die Sujets sind – man findet auch Parallelen: In der Bergwelt wie in der Tiefgarage sind die Verhältnisse ärmlich. Und in beiden Situationen versuchen die Kinder, sich zu positionieren. Die Frage, wie sich Kinder selbst darstellten, sei immer wieder interessant, sagt Pfrunder.
Sorgfältig komponierter Bildfluss
Kinder beim Spielen, draussen auf der Strasse, zwischen gigantischen Wohnblocks oder im wilden Chaos von Kinderzimmern; Kinder in der Schule, eifrig vor Wandtafeln, aufmerksam hinter Tischen; Kinder beim Arbeiten, beim Schleppen von Brennholz und Milchkannen – Peter Pfrunder hat ein eigentliches Panorama der Kindheit in der Schweiz zusammengestellt. Jedoch ohne den Anspruch zu haben, eine Kulturgeschichte der Kindheit zu dokumentieren.
Peter Pfrunder setzte vor allem auf seine Intuition: «Manchmal kann ich gar nicht genau sagen, warum zwei Bilder zusammenspielen», sagt er, «das ist ein tiefes Gefühl.» Er habe lange komponiert und ausprobiert, um einen Lesefluss zu erzeugen.
Pfrunders Lesebuch kommt fast ohne Text aus. Knappe Legenden mit dem Namen der Fotografinnen und Fotografen samt Angaben von Jahr und Ort genügen. Die Hauptrolle spielt der sorgfältig komponierte Bilderfluss.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 17.12.2015, 12:10 Uhr.