Der von Ray und Charles Eames im Jahr 1948 entworfene «Fiberglass Armchair» wird heute von Vitra immer noch produziert. Allerdings kosten die alten, gebrauchten Stühle meist mehr als die fabrikneuen. Warum ist das so?
Benjamin Adler: In diesem Fall ist das tatsächlich erstaunlich. Meist sind alte Möbel deshalb teuer, weil es nur noch wenige davon gibt. Aber dieser Stuhl ging aus Entwürfen hervor, mit denen die Eames 1948 an einem Wettbewerb teilgenommen hatten, in dem es darum ging, einen möglichst günstigen, zur Massenproduktion tauglichen Stuhl zu entwerfen.
Die bis heute andauernde Beliebtheit hat wohl einerseits mit dem Entwurf selber zu tun: Der Stuhl fügt sich in viele Kontexte ein. Das war so gewollt, Ray und Charles Eames wollten keine Gesamtausstattung entwerfen, sondern einzelne Möbel, die sich gut kombinieren lassen. Ausserdem besitzt das damals verwendete Material Fiberglas im Gegensatz zum heutigen Polypropylen nicht nur die spannendere Oberflächenstruktur, sondern altert auch viel schöner. Eine wichtige Rolle spielt sicher auch, dass Vitra als grosses Unternehmen das Eames-Erbe wieder publik machte. Dadurch sind die Stühle immer wieder in Interieur-Heften zu sehen und so in unserem Bewusstsein präsent.
Gebrauchte Möbel, also «Vintage-Möbel», erleben seit einiger Zeit einen Boom, was kürzlich auch das Zürcher Museum für Gestaltung zum Thema gemacht hat. Wie erklären Sie sich diese neue Liebe für das Alte?
In Zeiten, in denen fast alles per Mausklick verfügbar ist, geht von Dingen, die schwierig aufzutreiben sind, ein besonderer Reiz aus. Ich denke, dass gerade für Sammler ein wesentlicher Antrieb ihrer Leidenschaft in der Suche selbst liegt.
Aber auch eine breitere Masse von Leuten fühlt sich von der Ausstrahlung eines schön gealterten Möbels angezogen. Das hat nicht jeder, und man sieht dem Möbel nicht nur anhand der Gebrauchsspuren seine individuelle Geschichte an. Es hat – zumindest wenn es ein Designstück ist – auch eine Entwurfsgeschichte aufzuweisen.
Inwiefern hat der Entwurf eine Geschichte?
Der Eames Stuhl zum Beispiel hat in der Designgeschichte einen wichtigen Platz, weil er einer der ersten aus Kunststoff war, der dann in Massen produziert wurde. Man kann das Objekt historisch verorten, was man bei einem Ikea-Möbel normalerweise nicht kann.
Diese Geschichte entsteht ja erst mit der Zeit. Könnte rein theoretisch nicht auch ein Ikea-Möbel eine solche Bedeutung erlangen?
Dass ein Ikea-Möbel durch völlig neues Material oder eine innovative Formsprache zu einem Klassiker wird, bezweifle ich. Es erlangt vielleicht eher, wie das Billy-Regal, eine Bedeutung, weil es ein riesiger kommerzieller Erfolg ist und in jeder zweiten Wohnung steht.
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Aber eigentlich ist die Vorgabe an ein Ikea-Möbel dieselbe wie damals an den Eames Fiberglass Chair: Ein möglichst günstiges Möbel zu entwerfen. Wurden denn früher generell bessere Möbel als heute entworfen?
Da man schon so vieles ausprobiert hat, wird es sicher nicht einfacher, einen Wurf zu landen. Auf jeden Fall waren Möbel früher im Durchschnitt sorgfältiger gemacht. Heute werden Möbel tendenziell entweder sehr hochwertig und teuer, oder günstig und damit auch in billiger Qualität produziert.
Wenn nun aber, wie beim derzeitigen Boom, viele dieselben Möbelklassiker bei sich zuhause haben, verlieren sie da nicht die erwähnte Einzigartigkeit?
Ja, das ist tatsächlich etwas paradox. Die Klassiker sind aber wahrscheinlich nicht in der breiten Bevölkerung, sondern vor allem in Gruppen anzutreffen, die sich ein Stück weit über Design identifizieren. Beispielsweise steht bei vielen Architekten der Eames Lounge Chair. Das kann schon etwas uniform werden. Es gäbe daneben auch viele gute Entwürfe weniger bekannter Designer, die heute nicht mehr durch einen Möbelproduzenten vertreten werden und so zu Unrecht vergessen gehen.
An wen denken Sie?
In der Schweiz zum Beispiel an Dieter Waeckerlin, der in den 1950er- und 1960er-Jahren ein paar richtig gute Entwürfe gemacht hat. Heute ist er auch innerhalb der Schweizer Designszene praktisch unbekannt.
Zurück zu Ray und Charles Eames: Sie haben das selber entworfene Wohnhaus des Paars in Kalifornien besucht. Was ist Ihnen dabei besonders in Erinnerung geblieben?
Eindrücklich fand ich die offene Küche, die noch immer wie damals ist. Ray Eames hat selbst dort hunderte kleine Dinge versammelt, praktisch jeder Fleck ist mit kleinen Porzellanschälchen, getrockneten Blumen und Figürchen übersät. Dieses kleine Universum gibt einen Einblick in ihre Persönlichkeit. Man sieht, was sie für sammlungswürdig befunden hat.
Für mich eine Erkenntnis, die man auch den Vintage-sammelnden Menschen weitergeben sollte: Es muss nicht immer alles wertvoll sein. Auch einfache und günstige Dinge, die man am Strassenrand findet, können in Kombination mit Hochwertigem schön sein. Ausschliesslichkeit ist selten gut; zum Beispiel eine Wohnung, die nur mit exklusiven Designklassikern ausgestattet ist, kann schnell steril und protzig wirken.
Wo sehen Sie Ray Eames' Handschrift in den Entwürfen?
Sie war diejenige, die früher als ihr Mann Charles den Zugang zur Moderne fand. Charles Eames hatte in den 1930er-Jahren als Architekt eher konventionelle Häuser und Möbel entworfen. Auch später interessierte ihn bei den Möbeln wohl eher der technische Aspekt; zum Beispiel fand er Lösungen, wie man Sperrholz mit Metall verbinden kann.
Ray ihrerseits studierte Kunst und war Mitglied einer Künstlergruppe, die zu den ersten Vertretern der abstrakten Kunst in den USA gehörte. Dabei war sie durchaus erfolgreich, sie gab dann aber ihre Karriere zugunsten der Möbel auf. Es gibt heute immer mehr Stimmen, die betonen, dass Ray nicht nur die Farbgebung beeinflusste. Aus der abstrakten Kunst übertrug sie auch Formen auf die frühen Eames-Möbel wie im Fall des «Dining Chair Metal» oder der Liege «La Chaise», die an eine Skulptur von Gaston Lachaise erinnern sollte.