Auch wenn die Kunsthalle Zürich für die nächsten fünf Monate zur Kirche wird, auf gewisse Weise ist in der Ausstellungshalle alles wie immer: Da ist eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst zu sehen und zwar vom US-amerikanischen Künstler Rob Pruitt.
Bonbons fürs Kunstfreunde
Pruitt geht grosse Fragen gern mit grosser Unverfrorenheit an und stellt gleich am Eingang der Schau mit dem Titel «The Church» ein paar Opferstöcke auf. Sie sind ein wenig speziell, aus rezyklierten Traktorreifen gefertigt, und ausserdem kann man da etwas herausnehmen, nicht nur etwas einwerfen. Wer mag, greift also am Eingang von Rob Pruitts Schau zu Buttons und Süssigkeiten.
Aus der Entfernung erinnern Pruitts «People Feeders» an Plastiken von Brancusi, tatsächlich sind sie eine Pirelli-inspirierte Umdeutung grundsätzlicher Werte wie Geben und Nehmen und erden metaphysische Kreisläufe auf humoristische Weise. Genau diese grosszügige Leichtigkeit fasziniert Daniel Baumann, den Leiter der Kunsthalle Zürich, an Pruitts Arbeit.
Kunst im Hintergrund
Die Zürcher Ausstellung des New Yorker Künstlers dauert fünf Monate. Und in dieser Zeit verwandelt sich die Kunsthalle Zürich dem Titel der Ausstellung «The Church» folgend selbst in eine Kirche, inklusive vieler sozialer Aktivitäten: Es werden Predigten stattfinden, Kurse des offenen Bildungsnetzwerks «openki» und Treffen – Gemeindeaktivitäten sozusagen. Künstler Rob Pruitt findet das gut. Dass seine Kunst da zum blossen Hintergrund verkommt, stört ihn gar nicht.
Pruitt zeigt neben den «People Feeders» einen Riesenvorhang, bedruckt mit Fotos, die zeigen, wie stark religiöse Bildtraditionen unseren Alltag prägen. Er zeigt grossformatige Gemälde, abstrakte Studien mit Farbverläufen von rosa zu grau und lila zu blau. Das sind Bilder wie Meditationsflächen, mentale Notausgänge, Fluchten für Gedanken.
Erweiterung des Kunstbegriffs
Diese Bilder sind auf Raumteiler gespannt, die je nach Bedarf in der Kunsthalle neu arrangiert werden können, um Räume zu schaffen für die Gemeindeaktivitäten. Pruitt findet es aufregend, dass in der Kunsthalle Kunst erweitert wird.
Diese Öffnung verfolge er seit Jahren, sagt der New Yorker Künstler. Anstelle einer Ausstellung hat er auch schon Flohmärkte veranstaltete, um die ökonomischen Aspekte des Kunstbetriebs mit sozialen zu paaren. Ausserdem veröffentlichte er ein Buch, das für die Zürcher Schau neu aufgelegt wird: «101 Art Ideas You Can Make Yourself». Der Do-It-Yourself-Aspekt soll zeitgenössische Kunst vom Sockel holen.
Kunstrezeption auf den Kopf stellen
Rob Pruitts Werk online
Eine Entmystifizierung schwebt auch Daniel Baumann vor, wenn sich die Kunsthalle Zürich im Rahmen der Feierlichkeiten zu 500 Jahren Reformation in eine Kirche verwandelt. Museen und Kunsthallen, so Baumann, seien schliesslich nichts anderes als Tempel für säkular orientierte Menschen, in denen still und konzentriert Kunst angebetet wird.
Diese Kulturpraxis der Kunstrezeption will er auf den Kopf stellen und gleichzeitig bierernst nehmen – und eben wirklich zur Kirche werden, Predigt inklusive. Baumann erhofft sich davon sicher auch neue Publikumsschichten, zum Beispiel aus den Kreisen der Kirchgänger.
Blasen platzen lassen
Aber nicht nur. Eigentlich will er Blasen zerstechen und die berühmten Bubbles der Gleichgesinnten bekämpfen.
In der Kunsthalle, die sich in eine Kirche verwandelt, sollen Menschen miteinander ins Gespräch kommen, die sonst nicht unbedingt miteinander reden: Kunstfreunde prallen auf Aktivistinnen und unter die Bildungshungrigen des offenen Bildungsnetzwerks «openki» mischen sich Kirchgängerinnen und Kirchgänger zum grossen Blasen-vernichtenden Palaver.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 21.12.2017, 09:00 Uhr.