Die Documenta 15, die ab Juni in Kassel stattfindet, sorgt bereits im Vorfeld für hitzige Diskussionen. Vor allem in deutschen Medien, aber auch in der «NZZ», wurden in den letzten Tagen Vorwürfe laut: Das Programm, das von der indonesischen Kuratorengruppe Ruangrupa organisiert wird, biete antisemitischen Positionen Raum.
Elke Buhr, Chefredakteurin des Kunstmagazins «Monopol», hat sich eingehend mit dem Fall beschäftigt. Sie vermisst eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Positionen.
SRF: In den Medien wird gerade heftig darüber debattiert, ob die Documenta 15 antisemitischem Gedankengut eine Plattform gebe. Was hat diese Debatte ins Rollen gebracht?
Elke Buhr: Das war ein anonymer Blog-Beitrag eines Bündnisses gegen Antisemitismus aus Kassel. Der Post benutzt eine eher grobe Sprache und war auch nicht besonders gut recherchiert.
Er nahm vor allem Bezug auf ein palästinensisches Kollektiv aus Ramallah. Dem warf der Beitrag vor, es habe Verbindung zu antisemitischen Kreisen. Begründet war das unter anderem damit, dass das Kollektiv sich in einem Kulturzentrum treffe, das den Namen eines bereits verstorbenen arabischen Nationalisten trägt.
Ein anonymer Blog-Beitrag: Das klingt nach einer dünnen Information für so viel Aufregung?
Auf jeden Fall. Das ist dann allerdings sehr schnell grösser geworden. Dadurch, dass dies grosse Medien wie «Die Zeit», die «FAZ» oder die «NZZ» aufgenommen haben.
Das liegt daran, dass das auf eine Debatte anspielt, wo die Grenzen eigentlich schon etabliert sind. So gab es im letzten Jahr bereits einen Fall, bei dem der Philosoph Achille Mbembe von der Ruhrtriennale ausgeladen wurde.
Worum ging es damals?
Das ist immer der gleiche Streit. Es geht darum, ob man Leuten, die dem BDS (die politische Kampagne «Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen», Anm. d. Red.) zugetan sind, in Deutschland ein Forum bieten darf. Also ein Forum geben darf für eine Gruppe, die aus Solidarität für das palästinensische Volk fordert, dass man israelische Institutionen und den israelischen Staat boykottiert.
Es gab eine Resolution des Deutschen Bundestages, die den BDS als antisemitisch taxiert. Die Probleme gibt es immer wieder, weil fast alle Kulturschaffenden aus der arabischen Welt, aus dem Globalen Süden, aber auch aus Grossbritannien und den USA schon mit dem BDS sympathisiert haben. Deswegen ist es sehr schwierig, sie komplett auszuschliessen.
Die Kritik richtet sich ja vor allem gegen die Kuratoren-Gruppe, die indonesische Gruppe Ruangrupa. Warum wird die so kritisiert?
Zu den unangenehmen Begleiterscheinungen dieser Debatte gehört, dass die Presse wie etwa die «FAZ» ihnen vorgeworfen hat, dass sie ja selber aus einem islamischen Land kommen. Dann habe man angeblich kein Verständnis für die Belange der Juden.
Während dieser Debatte hat noch niemand direkt mit irgendeinem der Künstler oder den Kuratorinnen gesprochen, die diffamiert werden.
Hier tritt also eine alte Islamophobie zutage. Das ist schade, weil man dadurch nicht ernsthaft diskutieren kann, welche Meinungen aufeinandertreffen werden. So hat während dieser Debatte noch niemand direkt mit irgendeinem der Künstler oder den Kuratorinnen gesprochen, die da diffamiert werden.
Als bekannt wurde, dass die indonesische Gruppe Ruangrupa die Documenta 15 kuratieren würde, wurde das als Zeichen der Öffnung zum Globalen Süden hin gewertet. Geht diese Öffnung manchen in der Kunstwelt zu weit?
In der Kunstwelt kommt man damit klar, dass es unterschiedliche Positionen und Meinungen gibt. Anders könnten internationale Ausstellungen gar nicht funktionieren. Die aktuelle Kritik kommt gerade nicht aus der Kunstwelt, sondern aus Kreisen, die offensichtlich mehr Probleme damit haben.
Ich hoffe, dass man in Zukunft erst mal schaut, was die Inhalte sind, bevor man über Schlagworte stolpert.
Die Documenta unter Ruangrupa wird viel anders machen – das wird die deutsche Öffentlichkeit auch wirklich fordern. Ich hoffe nur, dass es da eine gewisse Offenheit geben wird dafür, was dann da gezeigt werden wird. Und ich hoffe, dass man in Zukunft erst mal schaut, was die Inhalte sind, bevor man über Schlagworte und Vorurteile stolpert.
Das Gespräch führte Alice Henkes.