Etwas mulmig ist es den fünf Teilnehmern, als sie in den «adventure rooms» des Technoramas Winterthur in Handschellen gekettet werden. Mirco, Anna, Zoe, Corinne und Lea haben sich eben erst kennengelernt und befinden sich schon gemeinsam in einer Extremsituation.
Der Raum, den sie betreten, wird abgeschlossen. Die Beobachtungskameras sind auf sie gerichtet. Das eben noch grelle Licht ist plötzlich diffus. Die Gruppe weiss, dass sie genau 60 Minuten hat, um sich zu befreien.
Durchs Knobeln lernen
Mittels Rätsel, dem Interagieren mit naturwissenschaftlichen und technischen Phänomenen, Kombinieren und logischem Denken soll dies gelingen. «Hier kann man experimentieren, Dinge anfassen, aktiv sein», erklären Corinne und Anna. Sie sind begeistert.
Vom Zuschauer zum Performancekünstler
Auch das Kunsthaus Zürich wagt neue Wege. Im Rahmen einer Performance hatten die Museumsbesucher die Chance, in die Rolle eines Künstlers zu steigen.
Sie wurden aufgefordert, sich aktiv zu beteiligen. Sie spielten mit Autoreifen, krochen durch sie hindurch, balancierten auf ihnen, klatschten sie an die Wand.
«Es war eine sehr körperlich-sinnliche Erfahrung», meinte eine Teilnehmerin. Vielen hat das Berühren, der Kontakt mit dem Reifen und dem Fremden gefallen. Auch Kuratorin Mirjam Varadinis stellte fest, dass es im Zeitalter der digitalen Transformation ein vermehrtes Bedürfnis nach einem direkten physischen Kontakt mit dem Körper gibt.
Das der «homo ludens» über die Erfahrung und das spielerische Wissen am effizientesten lernt, wusste schon Platon. «Lernen darf Spass machen», sagt Armin Duff.
Wissenstransfer über das Spiel
Der Projektleiter der «adventure rooms» und Leiter Didaktik des Technoramas Winterthur ist überzeugt, dass die menschliche Erfahrung notwendig ist, wenn Wissen nachhaltig abgespeichert werden soll.
«In den adventure rooms lernt man nicht nur, Phänomene zu begreifen, man lernt auch eine Menge über sich selbst und über die Gruppe», so Duff.
Für den Projektleiter ist schon länger klar, dass die Erlebnis-Rezeption in die Zukunft führt. «Dies hat das Technorama gerettet», erklärt Duff.
Museumsdirektoren unter Erfolgsdruck
Die musealen Veränderungsprozesse beobachtet auch Kunsthistoriker Christian Welzbacher in seinem jüngsten Buch. In «Das totale Museum» kritisiert er, dass viele von ihnen zur Eventmaschine umfunktioniert werden.
«Die neue Generation der Museumsdirektoren ist stark unter Erfolgsdruck. Sie müssen ebenso Besucherzahlen bringen, wie die Fernsehstationen Quoten», so Welzbacher. Das «totale Museum» muss viele Rollen einnehmen.
«Einmal wird ein Museum zur Disco umgebaut, dann werden plötzlich Modeschauen durchgeführt oder eben ganz verrückte zirkusartige Sachen. Das Museum feiert und inszeniert sich selbst. Die Frage ist, ob wir dann überhaupt noch von Museen sprechen dürfen.»
Welzbacher verweist darauf, dass die Museen Teil der Kultur, aber auch Teil der Machtverhältnisse sind, die gerade neu ausgehandelt werden. Das digitale Zeitalter fordert seinen Wandel.
Gemeinsam das Ziel erreichen
Die Digitaluhr in den «adventure rooms» zeigt unserer 5er-Gruppe, dass sie noch wenige Minuten hat, um sich aus den Räumen zu befreien. «Nur 30 Prozent schaffen dieses Ziel», erklärt Duff.
Es wird nochmals hektisch. Zoe, Anne, Corinne, Lea und Mirco setzen alles daran, dieses Ziel zu erreichen. Die Gruppe schafft es schliesslich, sich rechtzeitig zu befreien. Mit grossem Jubelgeschrei öffnen sie die Tür und sind stolz, dass sie alle Rätsel gelöst haben.
Aktivität schlägt Passivität
Fragt man sie nach der wichtigsten Erkenntnis, betonen alle die Gemeinschaftserfahrung. «Es gab keinen Chef, jeder hat einmal den Lead übernommen», erklärt Zoe. Mirco meint, dass man sich selbst und den Anderen am besten kennenlerne, wenn man sich in einer solchen Extremsituation befinde.
Weniger Passivität, mehr aktive Beteiligung wünschen sich alle Teilnehmer der Gruppe. Ein Modell übrigens nicht nur für Museen, sondern auch für Schulzimmer.
Sendung: SRF 1, Kulturplatz, 18.10.2017, 22:25 Uhr