Und weg damit! Joseph Beuys ist es mit seiner «Fettecke» in Düsseldorf passiert. Auch Kunstschaffende kleineren Kalibers hatten vergleichbare Verluste zu beklagen.
Was vorher geschah: Eine Reinigungskraft will nicht realisiert haben, dass es sich um ein Kunstwerk handelt und entsorgt es, zack, im Müll. Variante putzig: Es wird so lange geschrubbt, bis ein Werk im Eimer ist. Von Meisterwerken und Missverständnissen, die nicht alle mit Humor nahmen:
1. Wie ein Beuys sein Fett wegbekam
Man schrieb das Jahr 1982, als Joseph Beuys auf fünf Metern Höhe fünf Kilogramm Butter an eine Wand der Düsseldorfer Kunstakademie schmierte. Vier Jahre später, Beuys war erst ein paar Monate tot, liess der Hausmeister das durchaus ranzig gewordene Stück Speisefett abkratzen.
Eine teure Putzaktion: 40'000 Deutsche Mark Schadenersatz erhielt Beuys’ früherer Atelierleiter Johannes Stüttgen, der sich als rechtsmässiger Besitzer der «Fettecke» sah und erfolgreich gegen die Achtlosigkeit geklagt hatte.
Das war noch nicht das Ende: Die allerletzten Überreste der «Fettecke» wurden während einer Performance zerstört. 2014 veredelte drei Künstler das Speisefett zu einem Schnaps, den sie sich nach getaner Arbeit genehmigten.
Bereits zu Lebzeiten fiel eine Arbeit von Joseph Beuys aus Versehen einer gut gemeinten Säuberungsaktion zum Opfer. 1973 traf sich ein SPD-Verein aus Leverkusen im Schloss Mosbroich, wo man gerade eine Ausstellung vorbereitete.
Als zwei Genossinnen nach der Sause der Sinn danach stand, die Sektgläser zu spülen, stiessen sie in einer Kammer auf eine Badewanne, die mit Pflastern und Bandagen bestückt war. Braucht's nicht beim Spülen, also weg mit!
Dem Geschädigten, einem deutschen Kunstsammler namens Lothar Schirmer, wurden 40'000 Mark Schadenersatz zugesprochen. Beuys selbst erhielt seine Wanne zurück – und machte sie erneut zum Artefakt.
«Menschen verwirren» – Beuys und das Material
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Warum sieht Kunst manchmal aus wie Kehricht? Wir fragen den Kunsthistoriker Christian Saehrendt, Autor von «Ist das Kunst oder kann das weg?».
SRF: Ein Kunstwerk kann aussehen wie Abfall. Welche Rolle spielt Beuys in dieser Entwicklung?
Christian Saehrendt: Man schreibt Beuys ja den Satz zu: «Jeder ist ein Künstler». Vor allem aber hat Beuys gesagt: «Der Fehler fängt schon an, wenn einer losgeht, Leinwand und Farben zu kaufen.»
Beuys setzte darauf, Menschen zu verwirren, auch mit Dingen, die nicht als Kunstwerke erkennbar sind. Wobei er weniger Müll oder Abfall verwendete, sondern Alltagsmaterialien wie Industriefett und Filz, aber auch elektrische Anlagen und Lebensmittel.
Ich persönlich halte das materielle Werk von Beuys für überschätzt. Bei Beuys sind vor allem die Aktionen wichtig. Er wollte die Gesellschaft reformieren und den Kunstbetrieb demokratisieren. Kunst ist für Beuys ein Werkzeug zur Selbstermächtigung des Menschen.
Die Entfernung der «Fettecke» hat Beuys nicht mehr miterlebt, die Geschichte jener Badewanne soll er mit einem Lächeln hingenommen haben. Inwiefern rechnete er damit, missverstanden zu werden?
Beuys war ein humorvoller Mensch, mit viel Ironie. Das materielle Kunstwerk war für ihn nur ein Mittel zum Zweck. Die Hauptsache war der politische Kampf. Sein Ziel war die Reform der Gesellschaft.
Kunstwerke waren auch eine wichtige Finanzierungsmöglichkeit. Eine Aktion kann man nicht kaufen, die Requisite einer Aktion aber schon. Beuys nutzte die kapitalistische Grundstruktur des Kunstbetriebs, um seine Aktionen zu finanzieren.
Christian Saehrendt ist freiberuflicher Kunsthistoriker und lebt in Thun. Er schrieb mit Steen T. Kittl das Buch «Ist das Kunst oder kann das weg?» (DuMont, 2016). Beide haben zusammen den Kunstblog KingKunst ins Leben gerufen.
3. Der Müllsack, der fast im Eimer landete
Tatort Tate Gallery, London: Angeschrieben war das Werk des Künstlers Gustav Metzger nicht. Die Plastiktasche, gefüllt mit Zeitungen und Karton, lag ein wenig wie zufällig vor einem abstrakten Gemälde. Das macht es für eine pflichtbewusste Putzkraft nicht unbedingt leichter, sie nicht als etwas zu begreifen, das da nicht hingehörte.
Der Sack landete nur deshalb nicht im Müll, weil die Kuratoren das Missverständis rechtzeitig bemerkten. Trotz der Last-Minute-Rettung bestand der damals 78-jährige Künstler darauf, seinen Sack zu ersetzen. Dabei war die Zerstörung von Artefakten seinem Denken nicht fremd: Gustav Metzger gilt als Begründer der autodestruktiven Kunst.
4. Ungemach mit einem ungemachten Bett
Ebenfalls in der Londoner Tate stand 1999 das berühmteste Bett der Kunstgeschichte. Tracey Emin, die britische Skandalnudel, wollte es als Selbstporträt verstanden wissen. Was es sicher war: das authentische Dokument eines waschechten Dramas.
Die Schlafstatt, in der Emin vier Tage verbracht haben wollte, ohne es zu verlassen, war ungemacht, das Laken schmutzig, Alkoholflaschen, Tampons und ein benutztes Kondom lagen herum.
Es gab also durchaus Gründe, dass ein Angestellter der Tate das Bett hübsch herrichten wollte. Heute dürfte das kaum mehr passieren: «My Bed» wurde zur Ikone und ging 2014 für 2.55 Millionen Pfund über den Ladentisch.
«Eigenes Genre» – Wie die Kunst auf den Müll kam
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SRF: Wie konnte es bloss soweit kommen, dass Kunst im Abfall landet, weil sie sich nicht mehr von Müll unterscheiden lässt?
Christian Saehrendt: Kunstwerke waren seit dem Mittelalter und lange danach Bestandteile von Ritualen. Damals wusste man: Dieser Jesus oder jene Marienfigur ist ein religiöses Kunstwerk. Jedes Kunstwerk zeichnete sich zudem durch einen hohen Materialwert aus.
Das änderte sich, als das Kunstwerk autonom wurde. Heute wird nicht mehr ausschliesslich ein prachtvolles, fertiges Werk produziert. Das Prozesshafte steht oftmals im Vordergrund.
Denken Sie an den Faktor Zufall in der Malerei. Man sieht Kleckse und Farbtropfen, die auf einer Leinwand herunterrinnen. Das Ziel des Künstlers war es nicht, ein schönes Bild zu malen. Er wollte die Wechselwirkung von Zufall und künstlerischer Tätigkeit sichtbar machen.
Nehmen wir Beuys: Er hat Dinge für seine Performances auf die Strasse gebracht. Wenn eine Aktion aber vorbei ist, sieht man dem Objekt nicht mehr an, wo es hingehört. Es hatte in der Aktion seinen Wert. Für sich allein ist es als Kunstwerk nicht mehr erkennbar.
Unabhängig davon wurde Müll zu einem Rohstoff der Kunst.
Das ging bereits vor über 100 Jahren los, als Künstler damit anfingen, alte Fahrkarten in ihre Bilder zu kleben. Mittlerweile ist Müll als künstlerisches Material etabliert, die «Müllkunst» ein eigenes Genre.
Früher gab es in der Kunst nur Bronze, Gold und Silber, Marmor und Granit. Im Laufe der Moderne wurden industriell hergestellte Materialien für «kunstwürdig» befunden. Man konnte plötzlich aus Kunststoffen Plastiken herstellen oder mit Müll arbeiten.
Christian Saehrendt ist Kunsthistoriker und Co-Autor des Buches «Ist das Kunst oder kann das weg?» (DuMont, 2016).
5. Kunstwerk, du armer Tropf
Auch im Dortmunder Museum Ostwall machte eine resolute Reinigungskraft nur ihre Arbeit, als sie sich an einer Arbeit des deutschen Künstlers Martin Kippenberger zu schaffen machte.
Ihr war offensichtlich nicht bewusst, dass der kleine Kalkfleck in diesem Gummitrog unter einer Art Holzturm der Nebeneffekt eines Wasserschadens war, der wesentlich den Witz der Installation des Kippenberger-Kunstwerks «Wenn's anfängt durch die Decke zu tropfen» ausmachte.
Die Frau hielt den Fleck für einen Fehler und schrubbte, bis die Wanne wieder sauber war. Kostenpunkt für die Versicherung: 800'000 Euro.
6. «Ich war geschockt!»
Sie glänzte golden, aber das half wenig. «Behausung 6/2016» hiess die Installation aus Rettungsfolie, die Romana Menze-Kuhn 2016 in einer Kirche in Mannheim aufgebaut hatte. Sie sollte der Gemeinde vor Augen führen, dass es Menschen gebe, die kein Dach über dem Kopf haben.
Mist, musste eine Putzkraft gedacht haben und kloppte die Folie in eine Tonne, welche die Künstlerin («Ich war geschockt!») wieder in ihre Installation integrierte. «Kann sein, dass die Putzfrau meine Kunst geadelt hat», sagte sie in der «Süddeutschen» – stolz drauf, dass die Medien sie neuerdings mit Beuys oder Kippenberger verglichen.
«Rache der Laien» – Stichwort Schadenfreude
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SRF: Im medialen Mainstream schwingt stets Schadenfreude mit, wenn ein kostbares Kunstwerk im Müll landet. Was sagt uns das über den Stellenwert der zeitgenössischen Kunst?
Christian Saehrendt: Die Schadenfreude ist die Rache der Bürgerinnen und Bürger, die sich von der Kunst ausgesperrt fühlen. Viele Menschen denken, zum Teil zu Recht, dass der Kunstbetrieb auf Basis einer intellektuellen Schwindelei funktioniere.
Ein relevanter Punkt. Es gibt heute ja keine Regeln mehr, was Kunst ist und was nicht, was ein edles Material ist und was nicht. Heute entscheiden nur das soziale Umfeld und die Kunstprofis darüber, ob ein Müllhaufen Kunst ist oder eben nur ein Müllhaufen.
Ist gute Kunst möglicherweise jene, die uns erhalten bleibt, auch wenn sie einmal nicht mehr da ist?
Mit Blick auf Beuys könnte man sagen: Das eigentliche Kunstwerk ist die gesellschaftliche Debatte. Schön wäre es natürlich, wenn das eine Debatte ist, die dazu beiträgt, dass die Gesellschaft besser wird.
Schlecht ist es, wenn eine Debatte sofort von Moral überschüttet wird. Das war zur Zeit von Beuys noch nicht so. Das war eine Nachkriegsgesellschaft, die sich mit Konsum zuschüttete, um den Krieg und den Holocaust zu vergessen.
Auch Beuys ist eine historische Figur, die irgendwann vergessen sein wird. Aber wenn unser Fazit ist, das wahre Kunstwerk ist die Debatte, bleibt Beuys bestimmt noch lange aktuell.
Christian Saehrendt ist Kunsthistoriker und Co-Autor des Buches «Ist das Kunst oder kann das weg?» (DuMont, 2016).
7. Das Kreuz mit den Kreuzen
Lotty Rosenfeld brauchte nur einen breiten Pinsel und einen Eimer mit weisser Farbe, um die Fahrbahnmarkierungen auf den Strassen Kassels in Kreuze zu verwandeln.
Das Vorbild für die Aktion der Chilenin war eine eigene Arbeit: 1979 hatte Rosenfeld auf auf offener Strasse gegen die Gewalt der Regierung Pinochets ein Zeichen gesetzt. Die Arbeit nun, die zur Documenta 2007 gehörte, solle beim «Aufspüren unterschwelliger Formen von Macht und Kontrolle helfen», wie sie in Kassel erklärte.
Kurz vor Eröffnung der Documenta wurden die Kreuze und Markierungen aus Klebeband von ahnungslosen Angestellten der örtlichen Strassenreinigung entfernt.
Es ist bekanntlich eher schwierig, nicht mitzuschneiden, wenn wieder irgendwo in der Welt ein neues Werk des Graffiti-Grossmeisters Banksy auftaucht. Kann aber passieren, wie dieses Beispiel zeigt.
Keine 48 Stunden, nachdem die Entdeckung eines neuen Banksy in Bristol für Aufsehen sorgte – es zeigt ein Mädchen mit einer Steinschleuder in der Linken und wird auf den Valentinstag 2020 datiert – wurde das «Wandgemälde» des grossen Unbekannten von Unbekannten in Pink mit den Worten «BBC-Wankers» übersprüht.
Auch wenn es ein bisschen den Anschein macht: Ein Herz für Banksy schienen die Sprayer eher nicht zu haben. Aber vielleicht wussten sie: Er bringt unsere Message in die Medien.
Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 28.4.2021, 09:02 Uhr.
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