Der Maler Michael Armitage ist noch keine 40 Jahre alt und begeistert bereits international Kunstliebhaberinnen und Kunstliebhaber. In Grossbritannien ist er so populär, dass er auserkoren wurde, die 1-Pfund-Münze neu zu gestalten.
Eine grosse Ehre – und ein Auftrag mit Hintergedanken. Für die Probleme des ehemaligen Kolonialreichs im 21. Jahrhundert scheint Armitage eine Lösung zu sein: Kein anderer Künstler repräsentiert so deutlich Diversität und die Realitäten des Postkolonialismus wie der Sohn eines britischen Vaters und einer kenianischen Mutter.
Kunst im Postkolonialismus
Armitages Kunst steht zwischen Afrika und Europa. Seine Sujets findet er oft in Kenia, seine Ausbildung erhielt er in London. Und der Künstler mischt die Kulturen auch auf seinen Bildern. Er zitiert Vorbilder der ostafrikanischen Kunst wie die alten Meister der westlichen Kunstgeschichte.
Auch die Materialien sprechen von einem interkulturellen Kontext: Seine Bilder malt Armitage wie Rembrandt mit Ölfarbe, aber nicht auf Leinwand, sondern auf Lubugo. Das Tuch wird in Uganda mit viel traditioneller Handwerkskunst aus Baumrinde gewonnen. Für Armitages oft grosse Bild-Formate werden mehrere Tücher mit Nähten dick wie Narben zusammengefügt.
Bilder voller Geschichte
So eine Naht durchzieht auch ein besonderes Portrait in der Basler Ausstellung: den Kopf des Koitalel («Head of Koitalel», 2021). Der bereits grünlich verfärbte Kopf gehörte einst dem legendären kenianischen Widerstandskämpfer und wurde ihm 1905 von britischen Kolonialherren abgeschlagen. Noch heute soll er sich in einer britischen Sammlung befinden. Aber keiner weiss genau in welcher – auch wenn Kenia den Kopf gerne zurückhätte.
Und was macht Michael Armitage mit dem Mythos? Er zaubert wie Houdini und befördert den Kopf mit einem künstlerischen Taschenspielertrick, schwups, wieder her – zumindest im Bild. Postkoloniale Realitäten, Bildtheorie, Restitutionsdebatten, Geschichte und Geschichten, die in Europa zu wenig oder gar nicht erzählt werden: All das liefern Michael Armitages Bilder.
Er wolle mit seinen Bildern Geschichten erzählen, sagt der Künstler, allerdings keine eindeutigen. «Die Schönheit der Malerei ist, dass sie stumm ist», so der Künstler mit einem Grinsen.
Offen für Interpretationen
Armitages Bilder liefern die Versatzstücke, aus denen die Betrachterinnen und Betrachter Geschichten spinnen. Und so gibt es für diese Bilder viele mögliche Interpretationen in vielen verschiedenen Köpfen.
Was etwa erzählt das Portrait der legendären zehnten Tochter des Gründungsvaters der Kikuyu in Ostafrika? «Warigia» zeigt eine Frau in rosa Kleid und eigenartiger Pose, die ganz vertrackt einem Bild des US-amerikanischen Volksmalers Andrew Wyeth ähnelt.
Und so trifft bei Michael Armitage eine Heldin der ostafrikanischen Mythologie auf das berühmteste Bild eines Künstlers, der für seinen Realismus verspottet wurde. Die Drähte, die im Hirn der Betrachterin fürs Entschlüsseln zuständig sind, beginnen zu glühen.
Ist das alles Konzept und sorgfältig geplant? Oder «passiert» es einfach? Michael Armitage grinst erneut: «Beides!» So sei das in der Liebe, manchmal führe man, manchmal werde man geführt. In Basel ist ein Maler zu sehen, der seine Kunst meisterlich beherrscht und ihr doch wehrlos ausgeliefert ist.