Wenn es um die Anzahl neuer Museen, Opern- und Theaterhäuser geht, übertreffen Metropolen wie Abu Dhabi, Shenzen und Doha die grossen Städte in Europa und den USA. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie der Uni Lausanne, die weltweit die Neuentstehung grosser Kulturhäuser in den letzten 30 Jahren untersucht hat.
Wozu dieses Investment? Martin Müller, Leiter der Studie, über die neue, scharfe Waffe im Kampf um die kulturelle Vormachtstellung.
SRF: Seit Mitte der Nullerjahre investieren China und die Golfstaaten mehr in neue Kulturhäuser als Europa und Nordamerika. Warum?
Martin Müller: Diese Staaten haben in den letzten Jahrzehnten von starkem Wirtschaftswachstum profitiert. Die Grundbedürfnisse sind dort gedeckt, Wohlstand erreicht. Also wird das nächste Etappenziel ins Auge gefasst.
Die neuen Bauten sollen die einheimischen Produktionen aufwerten, statt sich im Westen zu bedienen
Um für die eigene Bevölkerung, Investoren und hoch qualifizierte Arbeitskräfte attraktiv zu sein, wird weiter investiert – und zwar in den Kulturbereich.
Kulturelle Grossprojekte sind also explizit für die einheimische Bevölkerung bestimmt?
Zum einen soll ein Programm für die einheimische Bevölkerung geboten werden. In China wurden zuletzt zahlreiche Theater gebaut, die viele eigene Kulturproduktionen auf die Bühne bringen. Das Ziel dahinter: Die neuen Bauten sollen die eigenen Produktionen aufwerten, statt sich im Westen zu bedienen.
Zum anderen will man mit den Bauten bekannter Architekten das eigene Image verbessern – etwa mit Museen oder Opernhäusern. Diese sind eher auf ein internationales Publikum ausgerichtet. Sie sollen Touristen ins Land locken. Es geht also auch explizit um Kulturpolitik.
Dafür werden gewaltige Beträge eingesetzt: Asien hat allein in den 2010er-Jahren 52 Milliarden Dollar für derartige Prestigeprojekte investiert. Das meiste sind staatliche Investitionen.
Diese Investitionen fügen sich in die staatliche Standort- und Kulturpolitik ein. Trotzdem ist es erstaunlich, dieses starke Wachstum zu sehen. Wir nennen das «kulturellen Kapitalismus».
Damit ist eine Verschiebung im kapitalistischen Wirkungsgefüge gemeint. Es wird immer wichtiger, Kultur als Ware oder als Gut zu betrachten, in das man investieren kann. Das sehen viele kritisch. Schliesslich wird die Kultur damit zu einem weiteren Renditeobjekt.
Wollen also autoritäre Staaten wie China oder die Golfstaaten über Kultur als «Soft Power» internationalen politischen Einfluss gewinnen?
Das ist sicher ein Ziel. Bei der «Soft Power» geht es darum, andere Staaten oder Menschen dazu zu bringen, bestimmte Dinge zu tun. Nicht, indem man sie militärisch zwingt. Sondern indem man als ökonomisches und kulturelles Vorbild für sie attraktiv ist.
China möchte sich ein Stück von den USA abschneiden.
Die USA haben es vorgemacht. Sie sind nicht nur eine militärische, sondern auch eine kulturelle Grossmacht. Davon wollen sich China und andere Staaten natürlich ein Stück abschneiden.
Das Interview führte Raphael Zehnder.