Ursus Wehrli will keine Wertung. Ob er nun das Chaos oder die Ordnung zeigt – letztlich liegt es an uns Betrachterinnen und Betrachtern zu entscheiden, in welcher der beiden Welten wir leben wollen.
In der geordneten, vorbestimmten, sauberen und möglicherweise sicheren, oder in der chaotischen, wilden, freien und vielleicht auch gefährlicheren.
Zwanzig Doppelseiten zeigt uns Ursus Wehrli in seinem neuen Buch «Welt aufräumen». Zwanzigmal stellt er dabei diese beiden Prinzipien gegeneinander.
Im Unterschied zu seinen früheren Arbeiten, bei denen es darum ging, einen Picasso oder Van Gogh nach Farben und Formen zu ordnen, inszeniert Ursus Wehrli nun beide Seiten neu. Links die chaotische, rechts die ordentliche. Situationen neu denken, nennt er das.
Kreative Punks – aufgeräumte Banker
So haben wir beispielsweise einen Hinterhof mit fünf Punks plus Hund rund um einen abgewrackten Clubtisch. Bierdosen in der Hand, Bierdosen auf dem Tisch. Bierdosen am Boden. Und im Hintergrund eine Frau auf einer Leiter, die ein Graffiti an die Hauswand sprüht.
Gegenüber dann ein Konferenzraum mit fünf Bankern. Statt der Bierdosen stehen Wasserflaschen auf dem Konferenztisch. Fein säuberlich im Viereck angeordnet. Im Hintergrund eine Frau an einer PowerPoint-Präsentation. Die Farben des Kuchendiagrams entsprechen denen des Graffitis auf der linken Seite.
Sogar ein Hund ist da. Aus Glas. Eine Art Ständer für eine Zimmerpflanze. Er steht im rechten Winkel zum Tisch. (Es soll eine Woche gedauert haben, bis Wehrlis Team das hässliche Glasvieh auftreiben konnte.)
Wehrli zeigt die Welt, wie sie ist: komplex
Das Beispiel ist exemplarisch. Schaut man einfach so hin, ist klar, wo die Sympathien liegen: Die Welt auf dem linken Bild ist lustig, freudvoll, kreativ und frei. Die Welt rechts ist unfrei, steif und langweilig.
Lässt man aber die Situation einen Moment länger auf sich wirken, erkennt man das Problem: Die Punks könnten niemals so unbesorgt im Hinterhof rumhängen, wenn es nicht Leute gäbe, die Reichtum produzieren. Und die Leute, die Reichtum produzieren, könnten das nicht ohne die Kreativität und Freiheit der Punks.
So ist die Welt eben komplexer, als sie scheint. Das ganze Leben ein einziges Hin und her. Ursus Wehrli versucht, genau das in seiner Arbeit hervorheben.
Am Ende des Lebens wird definitiv aufgeräumt
Am weitesten geht er dabei auf der letzten Doppelseite. Links ein farbenfroher Kindergeburtstag mit Clown in der Mitte und Papphütchen auf den Kinderköpfen. Rechts eine Beerdigung mit einem Pfarrer, mit Schirmen und lauter schwarz gekleideten Leuten. Geburt und Tod. Die grösste Spanne, die das Leben zu bieten hat. Das Aufräumen wird hier definitiv.
Es sei denn, und diese Überlegung macht sich Ursus Wehrli tatsächlich, es gäbe irgendwo eine noch grössere Spanne als die, die wir in unserem Leben ermessen können. Dann ginge seine Aufräumidee nochmals einen Schritt weiter. Warum nicht?
Auch «Welt aufräumen» war nicht geplant. Es entwickelte sich einfach aus «Kunst aufräumen» heraus. Und hat man die Tür für eine Idee einmal aufgemacht, sagt Ursus Wehrli, kommen da immer noch weitere, die auch hineinwollen.