Mit dem Mann kann man sogar reden. Für das Interview spricht Abraham Poincheval durch einen schmalen Spalt in der drei Meter grossen Holzreplik des Märtyrerapostels, welcher der Legende nach im 1. Jahrhundert lebendig gehäutet wurde.
Durch die Ritze ist Licht zu sehen. Immerhin sitzt Poincheval nicht im Dunkeln.
Bartholomäus und die Beinfreiheit
«Vielen wäre das zu klaustrophobisch», sagt Poincheval durch den Spalt. «Ich würde mich als klaustrophil bezeichnen. Ich liebe es, mich einzuschliessen.»
Ohne Bewegungsfreiheit, ohne den Wechsel von Tag und Nacht, ohne Gefühl für die vergehende Zeit verbringt er eine Woche in der Nachbildung des Heiligen.
«Zuerst musste ich mich im Heiligen Bartholomäus eingewöhnen», erzählt Poincheval am dritten Tag seiner Isolation im Museum für Kunst und Geschichte in Freiburg. «Aber jetzt beginnt allmählich das Abenteuer.»
Die Zeit vergehe. Er schaue sich in der Skulptur um. «Man lebt von wenig in einer Skulptur», klingt es aus dem Schlitz.
Wasser im Kopf, das Klo zu Füssen
Poincheval hat Erfahrung mit Performances der Enge: Geschlagene 13 Tage hat er im Bauch eines ausgestopften Bären verbracht, ganze acht Tage in einem Felsen. In einer Plexiglasbox hat er mehrere Wochen Eier ausgebrütet, und er hat sich tagelang in einer riesigen Flasche die Rhone hinuntertreiben lassen.
Eine psychedelische Erfahrung? «Ja», sagt der 51-Jährige, der in Marseille lebt. «Gleichzeitig meditativ und psychedelisch. Die Wirkung entsteht durch das Träumen, die Unmöglichkeit, sich zu bewegen und aus der körpereigenen Chemie.»
Abraham Poincheval verlässt die Bartholomäus-Statue nicht. Deren Kopf enthält einen Wassertank, der Boden eine Trockentoilette. Er isst Suppen und Getreideriegel und schläft im Sitzen oder im Stehen. «Nur diese zwei Positionen sind möglich, tief schlafe ich dabei nicht.»
Sich einsperren und ausharren
Doch warum lässt Poincheval sich einsperren? Um nachzudenken über den Körper der Skulptur, sagt er. Sonst sehe man sie ja nur von aussen.
Er stecke in der Kopie einer Skulptur aus dem 15. Jahrhundert, sagt Poincheval. Da stelle sich die Frage nach der Art und Bedeutung von Körperdarstellungen quer durch die Jahrhunderte. Und schliesslich heisse diese Ausstellung «Der isolierte Körper».
Um freiwillig oder gezwungenermassen eingeschlossene Körper geht es in der Ausstellung in Freiburg, die Ivan Mariano kuratiert hat. Dazu passe Poinchevals Performance. «Der Mensch braucht Momente, in denen er isoliert bleibt, meditative Zeiten. Er braucht aber auch Zeiten mit anderen, mit Freunden, in Gesellschaft.»
Das interaktive Museum
Mariano will mit dieser Aktion auch zeigen, dass im Museum nicht «nur» Gegenstände zu sehen sind, sondern dass man hier mit Kunstschaffenden ins Gespräch kommen könne.
Er ergänzt: «Wir haben in Freiburg eine lange Tradition von Reklusen, von Menschen, die sich im Mittelalter einmauern liessen, um in religiöser Meditation zu versinken.»
Auch daran knüpft Abraham Poinchevals Aufenthalt in der Statue an. Daneben sieht man den Künstler vielfarbig auf einem Bildschirm, aufgenommen mit einer Wärmebildkamera.
Das erinnert an Darstellungen von Avataren aus der virtuellen Welt. Sankt Bartholomäus digital, gewissermassen. Immerhin ohne die Folter, die der Heilige erlitten hat.