Die Romands waren schneller als die Deutschschweizer: Schon ab 1969 experimentierten Künstlerinnen und Künstler in Lausanne mit Kamera, Videobändern und Monitoren.
Der Lausanner Museumsdirektor René Berger hatte eine der ersten portablen Videoausrüstungen angeschafft: die «Portapak» von Sony. Filmen konnte vor 50 Jahren schliesslich nur, wer so glücklich war, Zugang zu Material zu haben.
Enthüllt oder versteckt er?
Ab 1971 realisierte auch der Westschweizer Künstler Jean Otth Videoarbeiten und erhielt rasch internationale Aufmerksamkeit. Während heute fast alle fast alles mit dem Mobiltelephon filmen und zeigen, versteckt Jean Otth mit seinen Filmen eher, was er zu zeigen nur vorgab. Otth untersuchte die Grenzen des Mediums – mit ausgetüftelten Settings.
Mittels dazwischengeschalteter Spiegel vermochte Otth bereits vor 50 Jahren das gefilmte Bild zu manipulieren – etwa mit der Spraydose. Oder er versteckte Teile des Monitors (und des Bildes) unter schwarzen Klebstreifen, die er Stück um Stück wieder ablöste.
Die Arbeit nannte er «Striptease». So konzeptuell Otth vorging, sein Humor ist oft gut spürbar.
Fast zehn Jahre lang untersuchte Otth das Medium Video mit analytischer Genauigkeit und einer unbändigen Lust an Problemen. Nicht nur Grenzen zogen ihn magisch an, sondern auch Störungen. Seine Videofilme gruppierte er rund um Knacknüsse und gab ihnen Übertitel wie «Limites» oder «Perturbations».
Musketiere des Unsichtbaren
In der Deutschschweiz erkundeten in den 1970er-Jahren Pionierinnen und Pioniere wie Urs Lüthi, Dieter Meier oder Anna Winteler das Medium Video. In der Romandie scharte sich eine Handvoll Angefressener um Museumsdirektor René Berger: Neben Jean Otth sind das René Bauermeister, Gérald Minkoff, Muriel Olesen und Janos Urban. Berger nannte die fünf schwärmerisch «les Mousquetaires de l’Invisible», die Musketiere des Unsichtbaren.
Jean Otth aber beliess es nicht bei der Kunst-Produktion. Er organisierte mit der Lausanner Künstlergruppe Impact erste Videokunst-Ausstellungen, an denen internationale Grössen wie Bill Viola, Martha Rosler oder Valie Export teilnahmen und die «Erfinder» der Videokunst: Nam June Paik und Wolf Vostell.
Otth wurde selbst als Videokünstler international rezipiert, zeigte Arbeiten in Sao Paulo und New York. In den 1980er-Jahren wandte er sich vom Video ab, weil er sich nicht wiederholen wollte.
Raus aus der Pionier-Schublade
Die Ausstellung im Musée cantonal des Beaux-Arts (MCBA) in Lausanne zeigt nun einen grossen Überblick über Otths Werk. Sie befreit ihn aus der Schublade des Videopioniers. Zu entdecken sind da auch seine Zeichenhefte und grossformatige abstrakten Gemälde.
Dass Otth in Schichten arbeitete, vom Verdecken und Verstecken von Bildern fasziniert war, zeigt sich auch in den Arbeiten auf Papier und den späten Videoarbeiten ab der Jahrtausendwende.
Otth bezahlte seine Abkehr von der Videokunst in den 1980er-Jahren mit weniger Reichweite und Aufmerksamkeit. Noch heute ist der 2013 verstorbene Künstler ausserhalb der Romandie kaum bekannt. Einer von vielen blinden Flecken. Jetzt ist er in Lausanne wiederzuentdecken, auch für die Deutschschweiz.