Eine junge Frau steht in einem Lift. Verträumt schaut sie nach oben. Auch die Leute um sie herum wirken wie aus einem Traum: dunkel, verschwommen, kaum wahrnehmbar. Diese Szene aus einem Hotel in Miami Beach aus dem Jahr 1955 ist eines der bekanntesten Bilder des Fotografen Robert Frank. Und dieses entsprach damals überhaupt nicht der Vorstellung von guter Fotografie.
Erst später erkannte man: Franks spontaner, roher Stil hat die ganze Kunst der Fotografie revolutioniert.
Von Zürich nach New York
Robert Frank wurde 1924 in Zürich geboren. Nach dem Gymnasium liess er sich zum Fotografen ausbilden. Der junge Mann sehnte sich nach Freiheit, wollte weg aus der kleinen Schweiz, weg von seiner Familie. Seine Kamera sollte ihm dabei helfen.
1947, mit 22 Jahren, reiste er mit einem Frachtschiff nach New York. «Nach Amerika zu kommen war, als würde eine Tür aufgehen», sagte Frank. Seine Bilder, die er bereits in der Schweiz und Paris geschossen hatte, halfen ihm dabei.
Alexei Brodowitsch, der legendäre künstlerische Leiter von «Harper’s Bazaar», war beeindruckt von Franks Fotografien. So bekam der junge Schweizer bei dem Magazin noch im selben Jahr seine erste Stelle als Assistenzfotograf.
Ein kritischer Blick auf Amerika
1955 erhielt Frank als erster Europäer das begehrte Guggenheim-Stipendium. Sein Vorhaben: «Eine visuelle Studie der Zivilisation», wie er im Antrag formulierte. Mit dem Geld brach er auf zu einem Roadtrip quer durch die USA.
Was er unterwegs sah, fotografierte er aus dem Affekt. Intuitiv. Schnell. Unbeachtet. Frank interessierte sich für Randerscheinungen, zeigte Diskriminierung, Klassenunterschiede. Seine spontane, kontrastreiche und kritische Sicht auf das Land und das Gefühl, das er damit provozierte, war komplett neu.
Zehn Monate reiste Frank zwischen 1955 und 1957 durch das Land. Belichtete 750 Filmrollen, machte 20'000 Fotos und wählte schliesslich 83 für seinen Bildband «The Americans» aus – darunter auch die eingangs erwähnte junge Frau im Fahrstuhl. Sein Buch gilt heute als eines der wichtigsten Werke der Fotografie überhaupt. Als es in den USA 1959 erschien, hatte Frank jedoch seine Kamera vorerst an den Nagel gehängt.
Er wollte Filme machen. Bekannt wurde aber nur «Cocksucker Blues» (1972), ein Dokumentarfilm über die Rolling Stones. Frank begleitete die Band auf Tour mit der Kamera. Und er filmte alles: Drogenexzesse, Sex. Das war sogar den Stones zu viel. Der Film wurde nie veröffentlicht.
Ereignisse, die berühren
Erst zu Beginn der 1970-Jahre kehrte Frank wieder zur Fotografie zurück – und fand abermals einen neuen Stil. In einem alten Fischerhaus im kanadischen Mabou fand er ein neues Zuhause.
Dort begann er, Sprache in seine Bilder zu integrieren, er fotografierte Wörter, kratzte sie in seine Negative. Er legte so seine schmerzenden Erinnerungen offen: Die Trennung von seiner Frau Mary, der Tod seiner Tochter Andrea, die Krankheit seines Sohns Pablo. 1978 schrieb er auf einen Spiegel: «Sick of Goodby's». Tropfend, wie in Blut geschrieben – seine gestalteten Bilder sind noch viel radikaler als «The Americans».
Im späteren Werk von Frank schaut man weniger Fotografie an, sondern offene visuelle Ereignisse. Diese Bilder waren nicht weniger revolutionär als seine Reportage-Fotos, sie liessen sich aber schlechter etikettieren.
Frank sei am Montag im Alter von 94 Jahren in der kanadischen Stadt Inverness gestorben, berichtete die «New York Times» unter Berufung auf seine Galerie in New York.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 10.09.2019, 17:10 Uhr