«Menschen sind unberechenbar. Sie zu fotografieren, ist ein Abenteuer», beschreibt Alberto Venzago sein Schaffen. Sein Abenteuer als Fotograf beginnt schon früh und sorgt schnell für Aufsehen. Zumindest in der Nachbarschaft.
Als Teenager fotografiert er Mädchen – nackt. «Völlig unschuldig», wie er betont. Ungeheuerlich fanden es jedoch die Eltern eines Modells – auch damals, in den wilden 60ern. Sie klagten gegen die Eltern des noch minderjährigen Talents. Venzagos Vater nahm’s gelassen: Schlicht «Spiesser» seien das.
Albert Venzago wird in einer Familie von Freigeistern gross. Als Kind einer deutschen Schauspielerin und eines italienischen Architekten und Musikers will auch er eine Künstler-Karriere verfolgen.
Klarinettist ist sein Traum, bis ihm ein Motorradunfall in die Quere kommt. Sein Arm war zu lädiert für das Spiel an einer Klarinette. Jedoch genug funktionstüchtig für die Kamera. Der Unfall war «ein Glücksfall», wie er sagt.
Abtauchen in Abgründe
Mit knapp 20 Jahren wandert Venzago nach Australien aus. Er machte erste fotografischen Arbeiten – bei einem Stamm von Ureinwohnern. Es ist ein Reisen in Welten, die vielen verborgen bleiben – aber auch das Abtauchen in menschliche Abgründe. Und das zeichnet seine Arbeit fortan aus.
Venzago ist lange als Kriegsreporter unterwegs – unter anderem im Iran unter Khomeini. Auch abseits der Kriegszonen sucht er Extreme: Er rückt die Kinderprostitution auf den Philippinen in den Fokus, begleitet 12 Jahre einen Voodoo-Kult in Benin und taucht fünf Jahre in die Welt der japanischen Mafia Yazuka ab.
Seine Arbeit ist immer auch mit Strapazen und viel Geduld verbunden: «Bei der japanischen Mafia habe ich sechs Monate gewartet, bis ich die Kamera herausgeholt habe», so Venzago.
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Bild 1 von 4Legende: «Ich freundete mich mit der Yakuza, Japans Mafia, an und erhielt als Aussenstehender mit meiner Leica Zugang zu den inneren Strukturen des Syndikats», schreibt Alberto Venzago über das Projekt. Alberto Venzago
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Bild 2 von 4Legende: Organisiertes Verbrechen, Mafia-Bosse, traditionelle Zeremonien, tätowierte Haut, als Treueschwur abgetrennte Finger: Das ist Yakuza. Alberto Venzago
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Bild 3 von 4Legende: Venzago durfte an streng geheimen Zeremonien der obersten Führungsebene teilnehmen ... Alberto Venzago
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Bild 4 von 4Legende: ... und erhielt Einblick in eine Welt, die zuvor keinem Aussenstehenden gezeigt wurde. Alberto Venzago
Dass es Venzago auch heute noch reizt, Grenzen auszuloten, zeigt auch ein jüngeres Projekt. «One», ein Gemeinschaftsprojekt mit seiner Partnerin, zeigt Fotografien, inspiriert vom Abgründigen, vom Dunklen. Ein Werk, das für die gewagte Reihe steht: Seine Partnerin Julia Fokina – nackt und blutend am Kreuz.
Karriere voller Kontraste
Nicht nur Abgründiges oder Grauenhaftes zeigt Venzago aber mit seiner Kamera. Er bewegt sich auch gerne in der Welt des Glamours. Er begleitet Bands wie Pink Floyd oder die Rolling Stones auf Tournee, fotografiert Stars wie Sting oder Tina Turner.
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Bild 1 von 4Legende: Ein scheues Fotomodell: der Pop-Art-Künstler Andy Warhol. Alberto Venzago
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Bild 2 von 4Legende: Eines seiner berühmtesten Werke: ein Foto von Mick Jagger. Alberto Venzago
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Bild 3 von 4Legende: Auch Hollywood-Star Nicolas Cage bekommt Alberto Venzago vor die Linse. Alberto Venzago
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Bild 4 von 4Legende: Ob Künstlerin Louise Bourgeois in diesem Foto-Moment wieder einen genialen Einfall für ein neues Kunstwerk hatte? Alberto Venzago
Ein Highlight unter seinen Star-Momenten: An Weihnachten 1984 darf er gar Warhol in seiner Factory ablichten. Und wird statt der geplanten 15 Minuten gar einen ganzen Tag mit der Künstler-Ikone verbringen.
Gauguins Geist auf der Spur
Für sein aktuelles Projekt ist der heute 75-Jährige in Polynesien unterwegs. Auf den Spuren von Paul Gauguin – und den Nachkommen der Frauen, die für seine Gemälde Modell standen.
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Bild 1 von 2Legende: «Meine Reisen sind mehr als blosse Erkundungen – sie sind eine Obsession, die Gesichter und Geschichten dieser Menschen festzuhalten», schreibt Venzago zu dem Projekt über Gauguin. Alberto Venzago
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Bild 2 von 2Legende: Im März und April 2024 fotografierte er mehrere Nachfahren von Gauguins Modellen. Alberto Venzago
«Mein Leben ist eine unendliche Jagd nach dem Unbekannten», soll Gauguin gesagt haben. Diese Jagd: Sie scheint auch Venzago stets auf seiner fotografischen Reise zu begleiten. Zur Ruhe kommen? Keine Option: «Ich werde irgendwann am Stativ heruntergleiten und tot sein.»