Besinnen wir uns kurz auf das Alltägliche. Der Blick auf die Uhr, die Teekanne auf dem Tisch, überhaupt der Tisch und der Stuhl auf dem man sitzt. Nicht selten stecken dahinter heimische Designideen.
«Alles ist Design», betont auch Christian Brändle, Direktor des Zürcher Museums für Gestaltung, das seit vergangener Woche eine neue Dauerausstellung beheimatet.
«Swiss Design Collection» – so könnte auch ein staubiger Aktenordner beschriftet sein. Nur die englische Wortwahl birgt ein kosmopolitisches Versprechen. Der schnörkellose, internationale Titel passt ausgesprochen gut zur Schweizer Designkultur.
Stabil, klar – und dennoch gewitzt
«Aufgrund des Rohstoffmangels hat die Schweiz immer schon möglichst materialeffizient entworfen», sagt Brändle. Hohe Qualität sorge für langjährigen Gebrauch, protestantische Nüchternheit für Klarheit mit gleichzeitigem Augenzwinkern: «Der Spielwitz im Schweizer Design wird unterschätzt.» All diese Eigenheiten angewandter Kunst lassen sich in der Ausstellung entdecken. Man könnte auch sagen, sie prasseln auf einen ein.
Objektdesign – made in Switzerland
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Bild 1 von 4. Hunderte Objekte laden dazu ein, die gesamte Bandbreite des Designs zu entdecken – zum Beispiel Klaus Knézys Tragetasche für Globus. Bildquelle: Klaus Knézy/Umberto Romito & Ivan Šuta,.
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Bild 2 von 4. Das Museum für Gestaltung Zürich sammelt seit 1875 Objekte, um wichtige Entwicklungen in der Designgeschichte zu dokumentieren – so auch die Vase von Max Laeuger, um 1896. Bildquelle: Kurt Naef, 1956/ Umberto Romito & Ivan Šuta.
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Bild 3 von 4. Das Atelier Ernst + Ursula Hiestand wurde 1960 gegründet und bestand bis 1981. Das Studio war Mitglied der Alliance Graphique Internationale und entwarf diese Verpackung für Autopolitur. Bildquelle: Atelier Ernst + Ursula Hiestand/ Umberto Romito & Ivan Šuta.
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Bild 4 von 4. Der Glaskünstler Dale Chihuly erweitert die Grenzen des Materials Glas mit seinem farbenfrohen Werk «Orange and Mauve Macchia Pair» – Glasdesign geniesst in der Schweiz hohes Ansehen. Bildquelle: Dale Chihuly / Umberto Romito & Ivan Šuta.
Betritt man den Hauptraum, ist unklar, ob man erst weiter oben die Logos von SBB und Coop ausfindig machen oder die ebenfalls hoch platzierte Plakatreihe anschauen möchte. Auch die an Wänden angebrachten bunt gemusterten Stoffbahnen, der berühmte Landistuhl, eine Freitagtasche und die Nespressomaschine, buhlen um Aufmerksamkeit. Eine Inspirationsschleuse zum Gestalten und vor allem: Shoppen.
Neuer «Skywalk» im Archiv
Rund 2500 Objekte aus den Bereichen Grafik, Typografie, Plakatgestaltung, Textil, Produktdesign und Kunstgewerbe hat das Kuratorium ausgewählt. Sie stammen aus der grössten internationalen Designsammlung der Schweiz – etwa 580'000 Objekte. Erstmals erhält die Öffentlichkeit auch Zugang in die Kellerräume des Toni Areals, wo Teile des Archivs durch transparente Brückengänge sichtbar geworden sind.
Schweizer Plakatkunst
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Bild 1 von 4. Cardinaux war ein Pionier im Bereich der Tourismuswerbung und nutzte das Matterhorn als Symbol für die Schönheit und Erhabenheit der Schweizer Alpen – ein Klassiker der Grafikgeschichte. Bildquelle: Emil Cardinaux, Zermatt – Matterhorn, 1908.
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Bild 2 von 4. Albert Solbach designte in den 1930er-Jahren die Plakatserie «Luzern – Lido» für das städtische Strandbad in Luzern. Bildquelle: Albert Solbach, Luzern – Lido, um 1932,.
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Bild 3 von 4. Peter Emch designte das berühmte Plakat für Sinalco. Die Erfrischungsgetränkemarke war bis in die 1970er-Jahre weltweit bekannt. Bildquelle: Peter Emch, Sinalco – Erfrischend fruchtig, 1970, © Peter Emch.
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Bild 4 von 4. Dorothea Fischer-Nosbischs Poster für «Das verflixte 7 Jahr» zeigt Marilyn Monroe um 1960. Bildquelle: Dorothea Fischer-Nosbisch, Das verflixte 7 Jahr, © ProLitteris.
«Hier kann man praktisch durch die Designgeschichte schweben», sagt Brändle. Zwei Sessel von Le Corbusier – einer in Leder, einer aus Beton – veranschaulichen, wie Design entwickelt und vorangetrieben wird. Hier erfährt man, was so bedeutsam an einem scheinbar sehr simplen Holzhocker ist.
Schweizer Design ist nun unübersehbar
Seit 150 Jahren sammelt das Museum Designobjekte. Erst 2014 wurde die gesamte Sammlung von drei Standorten im Toni Areal zusammengeführt. Gut zehn weitere Jahre vergingen, bis ihr Kern und damit ihre Opulenz und Einzigartigkeit dem Publikum zugeführt werden konnte. Gut Ding will eben Weile haben.
Gleichwohl macht die Schweiz nicht viel Wirbel um ihre Designerfindungen. Im Gegensatz zu den grossen Kunsthäusern, die international massig Anerkennung finden. Aber: 2024 besuchten so viele Menschen wie noch nie das Museum für Gestaltung. «Die Schweiz hat eine lange Tradition in guter Gestaltung. Das muss man sich natürlich auch leisten können», sagt Brändle. Ein Sinnbild für dieses Bekenntnis sei die Bahnhofsuhr. «Sie ist längst mit der Gesellschaft verwachsen.»
Insbesondere dann, wenn gestalteter Luxus Gefahr läuft, einer gewissen Selbstverständlichkeit anheimzufallen, braucht es Ausstellungen wie diese. Hier darf Kunst wertgeschätzt werden, die immer schon unseren Alltag bestimmt hat.