Der Comic «Theater» fängt vorn an: Eine Frau mit rotem Haar und spitzer Nase erzählt von ihrer Arbeit. Nach wenigen Panels ist klar: Sie ist Beleuchterin in der ukrainischen Stadt Mariupol und lebt praktisch im Theater.
Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine flüchten bis zu 1500 Menschen in das Theater. Dank Sashas Hilfe können sie untergebracht und versorgt werden. Es wird gekocht, aus dem Theatervorhang werden Decken geschneidert. Bis das Haus bombardiert wird, obwohl klar ist, dass hier Zivilisten Schutz suchten.
Erst die Recherche, dann der Comic
Die Zahl der Todesopfer ist bis heute unklar. Klar ist hingegen die Geschichte der Beleuchterin Sasha. Die ukrainische Journalistin Diana Lanovets hat sie recherchiert. Den journalistischen Grundregeln folgend hat sie neben Sasha viele andere Beteiligte befragt. «Ich wollte der Wahrheit so nah wie möglich kommen. Es ging darum, Fakten zu dokumentieren», erklärt Lanovets.
Diana Lanovets arbeitet für das ukrainische Comicmagazin «Inker». Sie recherchiert Menschen und ihre Geschichten. Die Recherche wird dann von Künstlern und Autorinnen in Comics verwandelt.
Doch für Lanovets journalistische Recherche zählen nicht nur Fakten wie der Zeitpunkt des Angriffs und die Anzahl Bombeneinschläge: Genauso wichtig ist die Farbe von Sashas Hose oder das Wetter. Denn gezeichnete Reportagen berichten von Fakten, aber auf eine eigene Art.
Für Comic-Reportagen spielen etwa ein wolkenverhangener Himmel oder subjektive Beobachtungen eine tragende Rolle. Der zeichnende Journalist Joe Sacco hat das Genre seit den 1990er-Jahren mit seinen berühmten Reportagen aus Palästina oder Bosnien geprägt. Sacco verbindet das Dokumentarische mit subjektiven Eindrücken und berichtet auch von der eigenen Überforderung.
EU-Mittel für Unmittelbares
In dieser Tradition stehen die Comics von «Inker». Die Literaturwissenschaftlerin Svitlana Pidoprygora hat in Basel eine Ausstellung über das Magazin kuratiert. Mit den Comics erreiche «Inker» ein anderes Publikum und spreche es direkter, unmittelbarer an, so die Ukrainerin, die als Fellow der akademischen Initiative «URIS» derzeit an der Uni Basel forscht.
Seit Kriegsausbruch sind neun Ausgaben von «Inker» erschienen, online stehen sie auf Ukrainisch gratis zur Verfügung. Unterstützt wird das Projekt von der NGO «European Endowment für Democracy», die sich für die Stärkung der Demokratie einsetzt und von der EU finanziert wird.
Keine Superhelden-Geschichten
Die abstrakten Nachrichten, die uns im Westen Europas aus dem Kriegsgebiete erreichen, erhalten durch die «Inker»-Comics ein Gesicht. Sie berichten nicht nur von Sashas Erlebnissen, sondern auch von der Zugschaffnerin Irina oder dem Marathonläufer, der zum Partisanen wird.
Erzählt werden keine Superhelden-Geschichten. Und dass das Sterben im Krieg nichts Heroisches hat, ist durchweg Thema. Gezeigt wird ein komplexes Bild vom Krieg, Zeugen berichten von viel Leid.
Trotzdem wird klar, wie heilend und wichtig das Geschichtenerzählen ist. Weil dem Chaos und der ganzen Zerstörung des Kriegs im Narrativ eine Ordnung entgegengestellt werden kann. Und nicht zuletzt, weil Geschichten Trost spenden.