Einen grossen Abwesenden umspielt der Schweizer Pavillon dieses Jahr. Nie hat der berühmte Bildhauer Alberto Giacometti im Schweizer Pavillon an der Kunstbiennale ausgestellt. Im Sport sei das undenkbar, sagt der diesjährige Kurator im Schatten eines alten Baumes vor ebendiesem Pavillon. Das sei, so Philipp Kaiser, als würde der beste Athlet auf der Olympiade nicht für sein Land antreten.
Fussnote der Kunstgeschichte
Giacometti hatte gute Gründe für seine Weigerung. Er wollte sich nicht von einer Nation vereinnahmen lassen. Dennoch umwarb ihn die Schweiz jahrzehntelang. Giacometti sagte konsequent höflich ab.
Diese Fussnote der Kunstgeschichte liefert Philipp Kaiser und insbesondere den eingeladenen Künstlern den Anlass für Werke, die Giacometti als Abwesenden gekonnt umspielen.
Giacomettis Geliebte, exponiert
Die in Genf geborene Carol Bove zeigt grosse, teils grellblaue Stahlskulpturen, für die sich die amerikanische Bildhauerin unverfroren Werktitel von Giacometti ausgeliehen hat. So sind einige «Woman of Venice» zu sehen oder eine «Cage». Boves Werke stellen sich so in eine Tradition und unterlaufen sie gleichzeitig.
Das amerikanisch-schweizerische Künstlerduo Teresa Hubbard und Alexander Birchler zeigt eine Filminstallation, die sich um Flora Mayo dreht, eine unterdessen vergessene Künstlerin, die in Paris mit Giacometti liiert war.
Zwei Geschichten, eine Tonspur
Hubbard / Birchler holen eine Randfigur ins Zentrum der Erzählung und erproben dabei die Wirkung filmischer Erzählweisen: eine dokumentarische Variante lässt Flora Mayos Sohn erzählen, eine Spielfilmvariante zeigt die Künstlerin im Atelier bei ihrer Arbeit. Gekoppelt sind beide Versionen durch ein und dieselbe Tonspur.
Es sei ihm wichtig gewesen, den Schweizer Pavillon auf der Biennale spezifisch zu bespielen, nicht so zu tun, als sei das irgendeine Ausstellung im Irgendwo mit irgendwelchen spannenden Künstlern, begründet Kaiser sein Projekt.
Lose Zugehörigkeit
Der sich weigernde Giacometti und die Biographien der ausgestellten Künstler treffen sich, indem sich alle der nationalen Zuschreibung entziehen. Weniger international, als vielmehr transnational sei das Stichwort zu dieser Haltung, so Kaiser, und fügt an, dass man sich so eine Haltung auch leisten können muss. Ein Geflüchteter etwa könne sich das nicht leisten.
Die Ausstellungsarchitektur der Biennale mit den vielen Länderpavillons ist im Weltausstellungkonzept aus dem 19. Jahrhundert verhaftet und trägt die Kategorie der Nation auch heute noch in sich.
Den Kontext hinterfragen
Regelmässig stellen sich Künstlerinnnen und Kuratoren der Aufgabe, diesen Kontext zu hinterfragen, zu ignorieren oder neu mit Bedeutung aufzuladen. Klar ist, man kommt aus der Nummer nicht raus. Und das wirkt manchmal auch inspirierend:
Santiago Sierra etwa liess vor einigen Jahren den spanischen Pavillon für alle nicht-spanischen Besucher schliessen. Eine zahmere Variante fanden vor einigen Jahren der deutsche und der französische Pavillon, indem sie die Ausstellungshäuser einfach tauschten.
Im Schweizer Pavillon ist dieses Jahr eine besonders subtile Lösung zu sehen. Da werden die Regeln eingehalten, indem alle Beteiligten einen Schweizbezug haben, und gleichzeitig werden diese Regeln hinterfragt.
Sendungen:
- Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 12.5.17, 7:20 Uhr
- Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 16.5.17, 9:02 Uhr