Kaum ein Theater, das sich derzeit nicht überlegt, wie es in Corona-Zeiten den Kontakt zu seinem Publikum behalten kann. Den Zuschauern zu Hause Videos von erfolgreichen Inszenierungen anzubieten, waren denn auch die ersten Aktionen, nachdem die Theaterhäuser schliessen mussten.
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Viele dieser Inszenierungen, die jetzt nach Hause gestreamt werden können, sind für das breite Publikum normalerweise nicht zugänglich. Ein grosszügiges Angebot: Endlich kann man eine bejubelte Inszenierung aus Hamburg oder Berlin oder einen internationalen Festivalhit vom Sofa aus schauen.
Der Vorteil dabei: Eine Pause leg ich beim Schauen dann ein, wann es mir passt. Der Kaffee oder das Popcorn auf dem Nebentisch stört niemanden. Die Gefahr: Weggezappt ist in einem Sekundenbruchteil.
Kein Ersatz für Theaterbesuch
Ein sicherer Wert sind historische Verfilmungen. Gerade wegen ihrer zeitlichen und ästhetischen Distanz haben sie den Vorteil, dass man gar nicht erst auf den Gedanken kommt, die Erfahrung mit einem realen Theaterbesuch zu vergleichen. Sie sind Theatergeschichte. Im Fernsehen.
Klar vermisse ich als regelmässige Theaterbesucherin vieles: das Gespräch im Foyer, das kollektive Erleben einer Inszenierung, ja sogar das Husten oder das Parfüm des Sitznachbarn. Und den gemeinsamen Applaus.
Experimentierfeld für die Zukunft
Digitale Theaterformate sind kein Ersatz für das analoge Erlebnis. Aber es sind Angebote, die zwar aus dem Jetzt entstehen, aber auf die Zukunft angelegt sind.
Täglich entstehen neue virtuelle Formen und Formate, das Angebot ist schnell unübersichtlich geworden. Sogar Theater, die noch vor ein paar Wochen verkündet haben, Theater sei ein Live-Erlebnis und könne nicht ins Internet verlegt werden, betreten mit Aktionen die mediale Öffentlichkeit.
Vieles wirkt improvisiert, manches aktivistisch. Statt Premieren gibt es Videodokumentationen und Künstlergespräche auf Facebook.
Schauspielerinnen versuchen Videokonferenz-Tools für Improvisationsübungen zu nutzen. Die Szene erlebt einen digitalen Schub, an dem sie noch vor Kurzem selbst nicht geglaubt hat.
Ausprobieren und scheitern
Nur die wenigsten dieser Versuche werden ein Publikum über die eigene theateraffine Bubble hinaus erreichen. Vielmehr geht es jetzt darum: Auszuprobieren und zu scheitern. Vorurteile zu überprüfen und zu lernen. Und nicht zuletzt: weiterzuarbeiten.
Viele fangen dabei nicht bei Null an: Audiotouren mit dem eigenen Smartphone, Game-Theater, in denen das Publikum als Akteur verstanden wird oder interaktive Spielanordnungen gibt es schon länger.
Welche theatralen Formate jetzt erfunden, und inhaltlich und ästhetisch überleben werden, steht derzeit noch in den Sternen.
Das Publikum der Zukunft
Und das Publikum lernt mit. Denn neben der Sehnsucht, sich dereinst wieder im Theaterraum treffen zu können, kann es sich zurzeit mit den Künstlern darin üben, sich alternativen digitalen Formen zu öffnen.
Nicht als Ersatz für das analoge Theater, sondern als Experimentierfeld für die eigene Wahrnehmung. Wann fühl ich mich angesprochen? Wann ernst genommen? Was ist ein aktiver Zuschauer in Zeiten von und nach Corona?