In Walter Bosshards Brust schlug vermutlich das Herz eines Abenteurers. 1892 wurde er als Bauernsohn in Richterswil geboren. Gleich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zog er in die weite Welt, arbeitete auf Plantagen in Sumatra, handelte in Thailand mit Edelsteinen und reiste mit einer deutschen Expedition in den Himalaya.
Geschäftsmann im Dienst der Illustrierten
Die Fotos, die er Ende der 1920er-Jahre von dort mitbrachte, legten den Grundstein für seine Blitzkarriere als Fotoreporter. Fotojournalismus boomte und Bosshard wusste die Bedürfnisse der Illustrierten Zeitschriften zu bedienen.
Ab 1931 berichtete er aus China, schrieb und fotografierte erst für die «Berliner Illustrirte [sic] Zeitung» und die «Münchner Illustrierte Presse», dann für «Life» und später für die NZZ.
Kein rasender Reporter
Walter Bosshards Fotos aus China sind nun in der Fotostiftung Schweiz in einer Ausstellung zu sehen. Für seine erste grosse Story über die chinesische Nationalversammlung 1931 porträtierte Bosshard als Newsjournalist ganz konventionell die Mächtigen. Er fing aber auch Strassenszenen ein, etwa schlafende Rikscha-Fahrer neben einem Plakat, das martialisch den Aufbruch einfordert.
Bosshard war kein rasender Reporter, der auf der Jagd nach dem besten Bild Konfliktregionen rund um den Erdball bereist. Der Schweizer lebte über Jahre in China, sprach Chinesisch, bereiste das Land intensiv.
Er verstand sich als Vermittler, der seinen westlichen Leserinnen und Lesern komplexe Sachverhalte über Geschichten näherbrachte und keine Scheu vor doppelt belichteten Fotos oder inszenierten Bildergeschichten zeigte.
Doch Bosshard beherrschte nicht nur die Kunst des Storytellings, er wusste auch um den Wert von Kontakten: Der Schweizer baute sich ein hervorragendes Netzwerk in China auf, um über alle Parteien berichten zu können.
Bosshard porträtierte alle Seiten
China durchlebte mehrere Konflikte: Das Land war innenpolitisch im Bürgerkrieg zwischen Nationalisten und Kommunisten zerrissen und versuchte vergeblich, den Einmarsch der Japaner abzuwehren.
Walter Bosshard berichtete intensiv vom zweiten Sino-Japanischen-Krieg (1937-1945), dokumentierte den Fall zahlreicher chinesischer Städte in Folge der japanischen Grossoffensive und liess alle Seiten zu Wort kommen: Er porträtierte japanische Generäle, chinesische Warlords, die Zivilbevölkerung, die Kommunisten und auch den Oberbefehlshaber der chinesischen Nationalisten Chiang Kai-shek.
Bilder, die Lücken füllen
Gerade diese Multiperspektivität macht den Wert von Bosshards Bildern aus. Denn sie füllen heute die Lücken, welche Jahrzehnte kommunistischer Geschichtsschreibung in China hinterlassen haben.
Triumph über Robert Capa
Als Höhepunkt von Bosshards Karriere in China gilt die farbige Reportage, die der Journalist 1938 für «Life» aus Yan’an realisierte, dem Rückzugsort der Kommunisten. Der Besuch bei Mao war für die Zeitgenossen eine spektakuläre Geschichte.
Für Bosshard war diese Reportage ein Triumph, für Robert Capa eine Niederlage. Der weltberühmte Fotoreporter Capa war für sieben Monate nach China gekommen und wollte wie Bosshard nach Yan’an. Der grosse und mit seinem gestutzten Schnurrbart stets vornehm wirkende Schweizer setzte sich durch.
Das «grosse Paket aus dem Westen», so hatte ein Chinese einst Bosshards Namen übersetzt, profitierte von seinen Beziehungen. Er gelangte an die notwendigen Empfehlungsschreiben, die ihn in die streng bewachte Hauptstadt der Kommunisten brachten.
Die feinen Unterschiede in der Bildsprache
Capa und Bosshard lernten sich in Hankou besser kennen. 1938 wurde die Stadt von den Japanern monatelang bombardiert, bis sie fiel. Capas und Bosshards Bilder aus der besetzten Stadt gleichen sich in den Bildsprachen an, das zumindest ist der Eindruck in der von Peter Pfrunder sorgfältig kuratierten Ausstellung «Walter Bosshard/Robert Capa – Wettlauf um China».
Zu sehen sind aber auch die Unterschiede zwischen Bosshard und Capa. Während der Schweizer Song Meiling, die Gattin Chiang Kai-sheks, als warme Landesmutter darstellte, sieht sie bei Capa eher wie eine eiserne Lady aus. Kommunistenfreund Capa hatte kein Interesse, die Frau des obersten Nationalisten vorteilhaft darzustellen.
Die Winterthurer Ausstellung zeigt mit Walter Bosshards Fotos einen Schatz, dessen Wert in China ganz besonders hoch angesehen wird. Umso wichtiger, dass Bosshards Nachlass in der Schweiz bewahrt wird und einige Teile daraus bereits in China zu sehen waren.
Die Ausstellung präsentiert aber auch ein glorioses Stück Mediengeschichte und gewährt Einblick in eine Zeit, in der Fotoreporter noch keine bedrohte Gattung waren, sondern Helden. Bewaffnet nur mit einer Kamera, standen sie an vorderster Front und kämpften um das beste Bild. Und einer der Ersten war ein Schweizer.