Neue Kulturbauten kosten die öffentliche Hand einiges: Für die kürzlich eröffnete «Nouvelle Comédie» zahlten Stadt und Kanton Genf rund 100 Millionen Franken. Für das Kultur- und Kongresshaus in Luzern übernahm die öffentliche Hand 94 der insgesamt 226 Millionen und die St. Galler Kantonsbevölkerung hat einem Kredit von 50 Millionen für die Sanierung des Stadttheaters zugestimmt.
Michael Grass vom Schweizer Wirtschaftsforschungsinstituts BAK Economics erklärt, warum Kulturförderung auch einen volkswirtschaftlichen Nutzen hat.
SRF: Wie erklären Sie sich die eindeutige Zustimmung zu grossen Geldbeträgen, obwohl Studien belegen, dass nur rund 10 Prozent der Bevölkerung regelmässig Kulturinstitutionen besuchen?
Michael Grass: Einerseits erhöht eine Kulturinstitution mit Prestige die Standortqualität. Das wird im Allgemeinen positiv beurteilt. Von internationalen Unternehmen hören wir immer wieder, dass ein hochstehendes Kulturangebot ein wichtiger Aspekt der Lebens- und Standortqualität und damit auch für die Rekrutierung internationaler Fachkräfte darstellt.
Jeder Franken Kultursubvention führt im Tessin zu 2.58 Franken Wertschöpfung im Kanton.
Andererseits könnte auch der sogenannte Optionsnutzen eine Erklärung sein: Auch wenn man die Museen und Theater nur selten oder gar nicht besucht, könnte man sie besuchen, wenn man wollte.
Der Optionsnutzen spielt übrigens auch im Tourismus eine Rolle: Das kulturelle Angebot beeinflusst die Reiseentscheidung auch derjenigen Touristen positiv, welche das Angebot gar nicht nutzen.
In einer von uns im Kanton Tessin durchgeführten Befragungen gaben 75 Prozent der Übernachtungsgäste und 93 Prozent der Tagestouristinnen an, dass das kulturelle Angebot für sie ein wichtiges oder sehr wichtiges Motiv für den Besuch im Kanton Tessin darstelle.
Kulturausgaben scheinen sich für den Tourismus zu lohnen.
Genau: Der volkswirtschaftliche Nutzen der Kulturwirtschaft entsteht hauptsächlich durch die Spillover-Effekte, die er im lokalen Tourismus auslöst. Damit sind sämtliche Ausgaben gemeint, die der Kulturbesucher für die Übernachtung im Hotel, den Restaurantbesuch oder beim Shopping von Bekleidung, Uhren oder Schmuck tätigt.
Unsere Analyse im Kanton Tessin zeigt, dass insbesondere mit überregional populären Festivals und kulturellen Leuchtturmprojekten gesamtwirtschaftliche Effekte ausgelöst werden, die deutlich über das Niveau der staatlichen Förderung hinausgehen.
Was heisst das in Franken ausgedrückt?
Jeder Franken Kultursubvention führt im Tessin zu 2.58 Franken Wertschöpfung im Kanton. Deshalb hat die Förderung der Kultur für einen Tourismuskanton eine strategische Bedeutung.
Mit der Kulturwirtschaft waren im Kanton Tessin 2019 etwa 2100 Arbeitsplätze verbunden. Doch bei all diesen wirtschaftlichen Grössen darf man nie vergessen, dass Kultur einen unschätzbaren bildungsbezogenen und gesamtgesellschaftlichen Nutzen generiert.
Hat jede Kultureinrichtung ähnliche Spillover-Effekte?
Nein, da gibt es natürlich Unterschiede. Je mehr eine Kultureinrichtung dazu führt, eine Touristin in die Region zu locken, je eher damit auch eine Übernachtung oder ein Restaurantbesuch verbunden ist, desto höher sind die Spillover-Effekte. Deshalb sind die überregional populären Institutionen wie das KKL in Luzern, die Fondation Beyeler in Riehen oder die Oper in Zürich von besonderer Bedeutung.
Das Ausgabeverhalten hängt auch vom Klientel ab. Ein Opernbesucher hat möglicherweise ein höheres Budget als eine Besucherin eines Open-Air-Kinos.
Allerdings gibt es auch andere Faktoren, die ein Festival zum überregionalen, markenbildenden Aushängeschild einer Destination machen. Ein schönes Beispiel für die «Markenbildung» ist ein Artikel der «New York Times» zum Locarno Film Festival aus dem Jahr 2004. Die Imagewirkung für Locarno und das Tessin war riesig.
Das Gespräch führte Karin Salm.