Schon Jean Tinguely nutzte Abfall für seine Installationen und Maschinen. Die Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung «Territories of Waste» im Tinguely-Museum verfolgen einen anderen Ansatz: Sie wollen erfahrbar machen, wie Müll und Verschmutzung entstehen.
Unsichtbare Welten
Da ist zum Beispiel das Video einer Müllverbrennungsanlage bei London. Ein bizarres Bild: Eine Gruppe von Menschen sitzt in einer Art Büro mit Panoramafenster. Hinter der riesigen Glasscheibe erhebt sich eine Landschaft aus Müll. Eine Greifzange wälzt die Massen um und belüftet sie, damit das Ganze nicht zu heiss wird und Feuer fängt.
Die britische Künstlerin Eloise Hawser war fasziniert von der Anlage und ihrer klaren räumlichen Trennung in zwei Bereiche – den sauberen und den schmutzigen. «Es entsteht eine Art geteilte Identität», sagt Eloise Hawser, ein perfektes Sinnbild für unseren Umgang mit Müll. Schliesslich wisse kaum jemand, was in den Verbrennungsanlagen passiert und wie sie von innen aussähen.
Sichtbar und erfahrbar zu machen, was normalerweise unsichtbar ist: Genau darum geht es allen ausgestellten Künstlerinnen und Künstlern der Ausstellung. Ihre Videos, Installationen und Fotografien drehen sich um den Abfall unserer Konsumgesellschaft: um verseuchtes Wasser, Luftverschmutzung und versehrte Landschaften.
Der Abfall verschiebt sich
Besonders spannend ist der zeitliche Rahmen, den die Schau im Tinguely-Museum umspannt. Zeitgenössische Positionen werden zu Arbeiten der 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahre in Beziehung gesetzt.
«Im Vergleich zu den 1960er-Jahren gibt es eine Verschiebung», sagt die Kuratorin Sandra Beate Reimann. Die heutigen Künstlerinnen und Künstler zeigten, dass die grössten Abfälle und Verschmutzungen nicht erst nach dem Konsum entstünden, «sondern bereits, wenn die Rohstoffe abgebaut werden, oder wenn die Produkte in anderen Ländern hergestellt werden.»
Das Ende eines Containerschiffs
Abfall fällt auch an, wenn Produkte wieder auseinandergenommen werden. Das beleuchtet eine Videoarbeit der pakistanischen Künstlerin Hira Nabi. In ihrem 30-minütigen Film zeigt sie, wie Arbeiter an einem Strand in Pakistan mit einfachsten Mitteln alte Containerschiffe auseinandernehmen. Sie arbeiten für einen Hungerlohn und riskieren ihr Leben.
Die dokumentarischen Aufnahmen und Interviews mit den Arbeitern verbindet Nabi mit Fiktion. So spricht auch das sterbende Schiff. Mit weiblicher Stimme erzählt es von den Fischen, die es hier früher gab, und vom Asbest, das sich in den Körpern der Arbeiter anreichern wird. Auf diese Weise gelingt Nabi das Kunststück, eine brutale Industrie in einem berührenden Film festzuhalten.
Der Abfall den Armen
Das hat auch eine politische Dimension: Wer den Müll wegmacht und wo die Natur durch Raubbau zerstört wird, spiegelt immer auch die gesellschaftlichen Verhältnisse wider.
Wie radikal Kunst diese gesellschaftlichen Verhältnisse infrage stellen kann, zeigen Arbeiten aus den 1960er- und 1970er-Jahren der US-Amerikanerin Mierle Laderman Ukeles. Als junge Mutter proklamierte sie in einem Manifest kurzerhand, wenn sie Windeln wechsle und die Küche putze, sei das auch Kunst.
Später entwickelte sie Performances rund um die New Yorker Stadtreinigung. Von 1979 bis 1980 schüttelte sie innerhalb von elf Monaten allen 8500 Beschäftigten an ihrem Arbeitsplatz die Hand und dankte ihnen dafür, dass sie New York am Leben halten. Nur eine kleine Geste – aber bis heute von grosser symbolischer Kraft .