Kunst folgt keiner Geschichte. Sie illustriert nicht, was passiert. Viel häufiger nehmen Kreative in ihrer Kunst Ereignisse vorweg. Ihre Biografien allerdings werden durch Geschichte genauso geprägt wie die aller andern.
So werden Kulturschaffende der ehemaligen DDR heute gerne eingeteilt in Staatskünstler, Reformer, Hiergebliebene oder Dissidenten. In diese Schubladen passte Wolf Biermann. Der berühmte oppositionelle Liedermacher wurde 1976 ausgebürgert.
Doch die Wahrheit ist komplexer als die Reduktion auf pro oder contra System. Das zeigen Bücher von Schriftstellern wie Jana Hensel, Ingo Schulze oder Uwe Tellkamp und Gespräche mit anderen Kulturschaffenden aus Ostdeutschland.
«Wenn es warm wird, drücke ich ab»
Der Fotograf Mahmud Dabdoub etwa ist der DDR bis heute dankbar. Mit einem Stipendium konnte er ab 1981 das palästinensische Flüchtlingslager im Libanon hinter sich lassen und in Leipzig studieren.
Dass er als Gast in die DDR kam, spiegelt sich in seinen Fotografien. Er dokumentierte Widersprüche im grauen Alltag der DDR, zeigte aber keine Klischees und keine gesicherten Grenzübergänge.
Er hätte solche Bilder machen können und im Westen verkaufen, sagt Dabdoub. Er tat es nicht. Weil er etwas anderes suchte: «Wenn es warm wird, drücke ich ab» so der Fotograf.
«Die DDR war meine Heimat»
Stephan Krawczyk hat eine andere Perspektive. Er war der letzte Liedermacher, der noch im Jahr 1988 aus der DDR ausgebürgert wurde.
Mit der Ausbürgerung kamen dem kritischen Künstler seine Funktion und das Sujet abhanden: «Im Westen kannte ich mich nicht aus, da hatte ich keinen Grund, mich einzumischen. Auch wenn es eine Diktatur gewesen ist, die DDR war meine Heimat», sagt Krawczyk heute.
«Meine Erinnerungen fehlen in der kollektiven Geschichte»
Die Kulturwissenschaftlerin Peggy Piesche wuchs als schwarzes Mädchen in der ehemaligen DDR auf und spürte den Alltagsrassismus. «Ich war nicht gemeint», sagt sie etwa über die Kinderbücher, die sie damals nicht las.
Das Jahr 1989 erlebte sie mit 21 Jahren als Zäsur. Ihr doppeltes Coming-Out – als Schwarze und als Lesbe – hatte sie direkt nach der Wende im Westen. Die gewaltigen gesellschaftlichen Transformationsprozesse schlossen sie als schwarze Deutsche aber aus, spätestens als der Slogan «Wir sind das Volk» zu «Wir sind ein Volk» und dann zu «Deutschland den Deutschen» mutierte.
Peggy Piesche plädiert heute für eine Aufarbeitung Deutscher West- und Ost-Identitäten. «Dabei versuchen wir seit fast 30 Jahren, eine kollektive Gänsehaut zu konservieren.» Sie fordert eine Analyse, die auch nicht-westliche und nicht-weisse Perspektiven zulässt.
«Lernen, sich zu artikulieren»
Für Schauspieler Uwe Kockisch war die Wende eine Befreiung: «Endlich konnten wir Shakespeare ohne versteckte politische Bedeutung spielen.»
Kockisch erlebte die DDR von Anfang bis Ende. Er sass wegen eines Fluchtversuchs als Jugendlicher im Gefängnis und erfuhr später Repressionen und Überwachung.
Deutschland habe die jüngere Geschichte noch nicht genug aufgearbeitet, sagt auch der Schauspieler, das Land sei noch nicht wieder zusammengewachsen. Auch 30 Jahre nach dem Fall der Mauer nicht.