Wer sich durch die zeitgenössische Kunstlandschaft bewegt, entdeckt mühelos Werke, die an Laborsituationen erinnern. Der belgische Künstler Wim Delvoye etwa ist bekannt geworden mit seinen «Cloaca Maxima»-Verdauungsmaschinerien: Vorne kamen Menüs rein, dazwischen wirkten Fermente, hinten kamen Exkremente raus. Der Kalifornier Mike Kelley stellte in seinen Installationen berühmte sozialpsychologische Experimente nach, um ein weiteres prominentes Beispiel zu nennen. Als historisches Vorbild für Grenzgänge zwischen Kunst und Wissenschaft drängt sich Leonardo da Vinci auf.
Ein Zwitter, der mit Assoziationen spielt
Doch wenn von «künstlerischer Forschung» die Rede ist, sind nicht einfach Anleihen der Künste bei der naturwissenschaftlichen Forschung gemeint, zumal diese längst nichts Neues mehr sind. Vielmehr ist der Begriff ein seltsamer Zwitter, der mit Assoziationen spielt. «Forschung», da denken viele an Reagenzgläser, Apparate, Messreihen – und an präzise, vielleicht sogar ökonomisch verwertbare Resultate. «Kunst» steht dagegen für die mehr oder weniger artikulierten Äusserungen der menschlichen Fantasie und für schöpferische Freiräume. Mit solch klischierten Definitionen im Kopf kommt man jedoch nicht weiter, wenn es darum geht, Kunst und Forschung miteinander zu verbinden.
Künstler werden zu Akademikern
Wenn die Hochschulen der Künste seit geraumer Zeit mit der «künstlerischen Forschung» oder eben «Artistic Research» um Fördermittel und Studierende werben, geht es auch um etwas anderes, nämlich hochschulpolitische Weichenstellungen. Im Zuge der europäischen Bologna-Studienreform wurden die ehemaligen Schulen für Gestaltung oder Kunstakademien zu Hochschulen für Kunst umgemodelt. Auch Kunstschaffende sollen nun Bachelor- oder Masterabschlüsse erwerben und sogar promovieren können.
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Doch wozu braucht ein Künstler einen akademischen Abschluss? Schliesslich nützt derlei im Kunstbetrieb wenig; da kommt es viel eher darauf an, von einflussreichen Kuratoren gefördert, in massgeblichen Institutionen gezeigt und von Sammlern gekauft zu werden. Die künstlerische Forschung gilt denn auch vor allem als Versuch der Künste, mit Projekten und dazugehörigen Anträgen an wissenschaftliche Fördergelder heranzukommen.
Neue Formen der Vermittlung von Kunst?
Das ist im herrschenden System legitim, ändert aber nichts daran, dass sich Kritiker der künstlerischen Forschung mit der Schwammigkeit des Begriffs schwertun. Die Befürworter der Artistic Research jedoch sehen in genau dieser Unschärfe eine Chance: Sie definieren künstlerische Forschung als methodische Herangehensweise im ohnehin ziemlich diffusen Überschneidungsfeld zwischen Kunst und Wissenschaft – wobei recht offen ist, ob damit die Natur-, Sozial- oder Kulturwissenschaften gemeint sind.
Und da sich in allen genannten Feldern seit längerem die Tendenz abzeichnet, die Massstäbe der eigenen «Wissenschaftlichkeit» zu hinterfragen, sehen Verfechter die Artistic Research als Möglichkeit für eine intensive Auseinandersetzung mit dem etablierten Kunstbegriff. Dieser ist stark marktorientiert, und genau dies zu hinterfragen, indem man beispielsweise neue Formen der Vermittlung von Kunst entwickelt, könnte eine typische Aufgabe künstlerischer Forschung sein.
Jedenfalls bietet sie einen Rahmen, zu dessen Vorzügen es gehört, noch modellierfähig zu sein. Der Beweis allerdings, dass Artistic Research die in sie gesetzten Hoffnungen und Ansprüche auch einlösen kann und nicht einfach nur neuer Wein in alten Schläuchen ist, muss noch erbracht werden.