Wer es düster mag, kommt in dieser Ausstellung voll auf die Kosten. Die frühen Werke der Künstlerin Niki de Saint Phalle wirken, als seien sie einem Horrorfilm entsprungen. Wandskulpturen und Reliefs zeigen krude zusammenmontiertes Plastikspielzeug: eine barocke Mischung aus Pferden, Krokodilen, Puppenköpfen und Spinnenbeinen.
Düster war das Frühwerk der Künstlerin, die später mit fröhlich farbigen Riesenfrauen weltberühmt wurde. Ihre «Nanas» kennen alle, aus der Zürcher Bahnhofshalle, von Brunnen oder Gadgets aus dem Museumsshop.
Weniger bekannt ist Niki de Saint Phalles Frühwerk – der spannendste Teil der Zürcher Ausstellung widmet sich dieser Periode ab den 1960er-Jahren, zu der auch die legendären «Schiessbilder» gehören.
Ballerkunst einer Revolverheldin
Niki de Saint Phalle leistete einen radikalen Beitrag zur Aktionskunst. Sie schoss mit ausgeliehenen Gewehren auf ihre Bilder. Später durfte das Publikum mit Dartpfeilen auf sie schiessen: So wurden Farbbeutel zerstört, deren Inhalt sich über die Bildfläche ergoss. Kaputt machen und Neues kreieren, das hängt bei Niki de Saint Phalle eng zusammen.
Christoph Becker, der scheidende Direktor des Kunsthauses Zürich, hat für seine letzte Ausstellung 100 Werke der Künstlerin versammelt. Den Schlüssel fürs Verständnis verortet er in der Biografie der Künstlerin. «Man versteht die Werke am besten, wenn man ihr Leben genauer kennt.»
Niki de Saint Phalle wurde von ihrem Vater sexuell missbraucht. Das Trauma begleitete sie ein Leben lang. Sie fand mit der Kunst aber auch einen Ausweg aus der Katastrophe. Die junge Frau aus altem französischen Adel fing an zu malen, fand rasch zu einem eigenen Ausdruck und war in ihrer Kreativität nicht mehr zu stoppen.
«Sie hat sich nie abbringen lassen»
In Paris wurde sie als Autodidaktin und einzige Frau Teil der Künstlergruppe «Nouveaux Réalistes». Wie Yves Klein und Jean Tinguely, den sie später heiratete, brachte sie Kunst und Alltag näher zusammen. Niki de Saint Phalles überbordende Kreativität hat Kurator Christoph Becker fasziniert: «Sie hat sich nie abbringen lassen. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, hat sie’s durchgezogen.»
Das gilt für vieles, das die Künstlerin anpackte: Filme, Aids-Aufklärung und für ihre erste begehbare Skulptur «Hon» (1966). Erhalten ist die 25 Meter lange und sechs Tonnen schwere Dame, die für eine Ausstellung im Moderna Museet in Stockholm entstand, leider nicht. Aber auch das Modell ist eindrücklich: Es zeigt ein Riesenweib, dessen angewinkelte Beine in die Ausstellungsräume gequetscht sind. Zwischen Schenkeln und durch die Vagina führte der Weg für die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung.
Überblicksschau ohne aktuellen Zugriff
Umso überraschender ist es, dass Niki de Saint Phalle kaum als feministische Pionierin rezipiert wurde. Hierauf allerdings geht die Zürcher Ausstellung nicht ein und findet auch sonst keine aktuelle Fragestellung für das gezeigte Werk.
Nach über 20 Jahren als Direktor des Kunsthauses Zürich bleibt sich Christoph Becker mit dieser Ausstellung treu und liefert tiefere Einblicke in das, was gemeinhin schlicht als populär gilt. Dass er mit seiner letzten Ausstellung ausserdem dazu beiträgt, die Frauenquote am Kunsthaus Zürich besser aussehen zu lassen, ist bemerkenswert. Hat das wichtige Schweizer Kunstmuseum unter seiner Direktion doch auffallend wenigen Künstlerinnen Einzelausstellungen gewidmet.