1. Für Kunstliebhaber, die auch Kühe mögen: «Art Safiental»
Der Ort:
«Wir sind kein White Cube, sondern ein Green Cube», schmunzelt Johannes M. Hedinger, der Gründer und künstlerische Leiter der Art Safiental. Schon zum dritten Mal macht er nicht weisse Museumswände, sondern das 151 Quadratkilometer kleine Tal zur Kunstkulisse, wo die Kunstliebhaberin auch mal in einen Kuhfladen tritt: «Eine Begegnung mit einem Tier auf dem Weg zum nächsten Kunstwerk gehört hier dazu», schwärmt Hedinger.
Warum dahin?
Die diesjährige Art Safiental steht unter dem Motto «Digital – Analog». Digitales in der alpinen Abgeschiedenheit – muss das sein?
«Das Digitale ist hier längst Realität. Melkmaschinen laufen digital. Auch das Wasserwerk ist hoch digitalisiert», erklärt Hedinger. Ihn interessiert die Annäherung, die Überlagerung von Digitalem und Analogen, die sich in vielen Kunstarbeiten zeigt.
Das ist zum Beispiel der Pixelstall – eine Installation mit dem kryptischen Namen «ctrl+s (prekäre Stellen)». Das Künstlerduo Frölicher / Bietenhader hat einen Walser Stall mit einem real nachgebauten Pixelfehler umhüllt.
Oder die Augmented-Reality-Arbeit der Amerikanerin Nancy Baker Cahill: Mithilfe ihrer App «The Fourth Wall» sieht der Besucher oder die Besucherin eine Art Ufo über dem 3000 Meter hohen Schwarzhorn schweben.
«Bei der Art kommen Besucherinnen und Besucher auf ihre Kosten, die Natur und Kultur mögen – und auch den Clash zwischen den beiden», wirbt Hedinger.
Und Geduldige: Denn husch, husch zum nächsten Kunstwerk stressen? No way! Die Kunstwerke hängen hier nicht an der nächstbesten Wand, sondern sind übers ganze Tal verteilt.
«Kein Dichtestress ist ein Bonus», so Hedinger. Besonders zu Corona-Zeiten. Und wenn der kunstferne Wanderer zufällig über ein Kunstwerk stolpert: gerne stehenbleiben.
Der besondere Hingucker:
Vor 25 Jahren fuhr hier noch das Postauto durch, heute ist der Aclas-Tunnel stillgelegt. In einem Seitenstollen des Tunnels hat die Bündnerin Ester Vonplon ihre Arbeit «I see a Darkness» ausgestellt: Fotografien, die sie im Tunnel aufnahm und entwickelte.
Der Stollen, wo sehr spärlich Licht einfällt, diente der Fotokünstlerin als Camera Obscura. So konnte sie die Schlucht von draussen nach drinnen projizieren.
Tierisch toll auch: Der Basler Künstler Denis Handschin, der sich im Tal zum Schafhirt ausbilden liess, hat sich mit einer Horde Tiere auf eine Alp verzogen. Von dort – Ort streng geheim! – sendet er auf TikTok, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen und auf seinem Blog, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen «Daily Sheep News» in die Welt.
Die Randnotiz:
«Wir sind kein Ufo, das wieder geht», betont Hedinger. Er will das Kunstschaffen im Tal etablieren – zusammen mit den Tal-Bewohnerinnen und Bewohnern. Teil dieser Strategie sind die Alps Art Academy – eine Sommerakademie für Kunstschaffende mit dem Ziel, die lokale Kultur und Gesellschaft ins Kunstschaffen einzubinden – und das Forschungsinstitut ILEA (Institute for Land and Environmental Art) im Berghotel Alpenblick, das auch eine Künstlerresidenz aufbaut.
2. Für Ausflüglerinnen mit dem Blick fürs Aussergewöhnliche: «Format» in Mont-Soleil
Der Ort:
Auf über 1200 Metern liegt er im Berner Jura: der Mont-Soleil. Ein Ausflugsziel in der Nähe des Städtchens St-Imier, das von Mitte Juni bis Mitte August zum Ausstellungsort wird. Dort findet die Format zum zweiten Mal statt – eine Fotoausstellung im Freien.
Warum dahin?
«Ein Panorama der zeitgenössischen Schweizer Fotokunst»: Das will der Künstler, Gründer und künstlerische Leiter Swann Thommen bieten. Elf Schweizer Fotografinnen und Fotografen hat er dieses Jahr geladen.
Nebst wenigen formalen Einschränkungen hatten die Künstlerinnen und Künstler eine Carte Blanche. Dementsprechend unterschiedlich sind die Arbeiten: Da ist etwa Christian Lutz’ Bild vom Lukmanierpass, das Geflüchtete auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft zeigt.
Oder es gibt Graziella Antoninis poetische Fotos von filigranen Pflanzen und Pflanzenteilen zu sehen, die sie jahrelang gesammelt hat.
Der rurale Rahmen passt – wenn auch manchmal als Kontrast: «Eine Fotografie lässt den Kontext hinterfragen, in dem sie ausgestellt ist», erklärt Thommen. Man erkennt Parallelen, aber auch Unterschiede zwischen Rahmen und Fotografie – und Gegensätze, die vielleicht keine sind.
«Unsere Ausstellung verbindet Kultur und Natur», so Thommen. Die Zauberformel für das Kulturschaffen der Zukunft? Zumindest ein attraktiver Weg für viele: «Wer Kultur sucht, kann gleichzeitig die Region entdecken. Wer Erholung in der Natur will, zufällig auf Kunst treffen.»
Der besondere Hingucker:
Ein Meeting der Mächtigen auf dem Mont-Soleil? Cyril Porchet hat für seine Serie «Meeting» Veranstaltungsorte von Konzern-Versammlungen fotografiert – menschenleer. Die Bilder stehen auf den ersten Blick quer in der Landschaft und passen dennoch perfekt. Ob das eine Message an die Mächtigen sein mag: Bitte auf dem Boden bleiben?
Die Randnotiz:
Die Fotografien, die hier auf dem Mont-Soleil ausgestellt werden, müssen standhalten – und das bei jedem Wetter. Die Leinwände, die von Gerüsten gehalten werden, sind deshalb halbtransparent und durchlässig, damit sie der Wind nicht umbläst. Man merke: Wer im Freien ausstellt, hat einen unbändigen Dauergast namens Natur.
3. Für Stadtflaneure mit Musse für den Seitenblick: Biennale «Sculpture Garden» in Genf
Zum Ort:
Grüne Oasen in Genf: Die Biennale Sculpture Garden findet im Parc des Eaux-Vives und im Parc La Grange statt. Direkt am Wasser, nah am Zentrum: Zwei «beautés botaniques», schwärmt Thomas Hug, Direktor der Art Genève und Gründer der Biennale Sculpture Garden.
Warum dahin?
«Normalerweise ziehen Ausstellungen ein breites oder ein elitäres Publikum an. Was uns speziell macht: Wir peilen beide an», sagt Thomas Hug.
Klingt ambitioniert, spiegelt sich im Programm aber wider: Die Ausstellungsmacher haben internationale Künstler ins Boot geholt. Etablierte wie Designer und Architektenpaar Trix und Robert Haussmann, aber auch Nachwuchskünstlerinnen wie die Zürcherin Gina Fischli oder die Arbeiten von Lausanner Kunststudierenden.
Die Topshots und Stars von morgen sollen ein distinguiertes Kunstpublikum anziehen – aber eben: nicht nur. Der Standort soll auch Touristinnen, Spaziergänger, Kinder anlocken.
Ganze 34 Werke gibt’s in den Parks zu sehen. Wer zwischendurch mal eine Kunstpause braucht, darf sich hinlegen: wohlig auf der Wiese. Das kann kein kalter Museumsraum, oder?
Trotzdem will die Biennale in Zukunft auch rein: Sie will grösser werden und auch in Ausstellungsräumen in der ganzen Stadt ausstellen, wie Hug sagt. Und dabei nicht nur auf Skulpturen, sondern auf Kunst aller Art setzen.
Der besondere Hingucker:
Wagt sich da eine an Genfs Wahrzeichen? Die 30-jährige Genferin Lou Masduraud hat für die Ausstellung einen Brunnen – der nicht wie einer aussieht – kreiert. Zwei Flächen sammeln Tauwasser, das dann durch eine Röhre auf die Wiese tröpfelt. Die Anti-Variante des berühmten «Jet d’eau», dessen spektakulärer Strahl bis zu 150 Meter in die Höhe reicht.
Die Randnotiz:
Die Skulpturen ziehen nach der Ausstellung weiter in die Quartiere der welschen Metropole. «Die Kunstwerke sollen zur Genfer Stadtlandschaft gehören», betont Hug. Ein Kunst-Sommerhighlight, das den Stadtbewohnerinnen erhalten bleibt.
4. Für urbane Menschen, die gerne über Kunst stolpern: «Gasträume» in Zürich
Der Ort:
Wer in Zürich ankommt, sieht gleich: Kunst im öffentlichen Raum wird hier hoch gehängt. In der Zürcher Bahnhofshalle schwebt der berühmte Schutzengel von Niki de Saint Phalle. Über 1300 Kunstwerke im öffentlichen Raum zieren Zürich. Solche, die bleiben – und solche, die gehen. Wie die Werke der aktuellen Ausstellung Gasträume.
Warum dahin?
«Ein Vorteil von Kunst im öffentlichen Raum: Man muss keine Türe durchschreiten, keine Berührungsangst vor dem Museumstempel ablegen», sagt Christoph Doswald, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum.
Neue permanente Kunstwerke finden in Zürich jedoch selten einen Platz, denn die Stadt ist dicht, Freiräume knapp. Die Ausstellung Gasträume, die dieses Jahr zum achten Mal stattfindet, ist da eine zeitgemässe Antwort: Künstlerinnen und Künstler können temporär ihre Werke ausstellen. Ihre Kunstwerke sind nur zu Gast.
Dieses Jahr etwa ein Backenzahn auf dem Basteiplatz. Ein bissiges Werk des deutschen Bildhauers Michael Sailstorfer.
Oder «snow moon» von Ugo Rondinone, das provokativ auf dem Paradeplatz steht: Der dürre weisse Olivenbaum aus Aluminium ist ein Abguss eines 2000 Jahre alten Baumes aus Süditalien. Ein Mahnmal gegen den Klimawandel – da platziert, wo die Kassen klingeln.
«Gasträume» gibt’s nicht nur im Zentrum zu sehen, sondern auch in Zürich-Altstetten und Zürich West. Das ist Doswald wichtig, denn Kunst solle auch in der Peripherie stattfinden. Und sie muss neue Wege gehen:
Da die Vernissage wegen Corona abgesagt wurde, stellen Doswald und sein Team die Kunstwerke der Ausstellung in Mini-Videos auf Social Media vor.
Der besondere Hingucker:
Es ist nicht nur zu Gast: Das Künstlerduo Fischli / Weiss hat «Haus» für eine Ausstellung 1987 in Münster konzipiert, dann wanderte es 2016 – wetterresistent, weil frisch in Alu gegossen – nach New York und steht seit 2018 in Zürich Oerlikon vor der Offenen Rennbahn.
«Haus» stellt ein typisches Gewerbegebäude im Massstab 1:5 dar – ein «aussergewöhnliches Werk, das an einem aussergewöhnlichen Ort steht», schwärmt Doswald. Definitiv eine Reise nach Oerlikon wert!
Die Randnotiz:
Sachte, bitte! Corona habe nicht nur die Begeisterung für Kunst im Freien neu entfacht, sondern leider auch zu mehr Sachbeschädigungen geführt, bedauert Doswald. Zu viel Leute, zu viel Freude an der Freiheit im Freien? Man merke sich: Die Kunst kann nichts für die Krise.
5. Für Ästhetinnen, die in der Sonnenstube den Schatten suchen: «Verzasca Foto Festival»
Der Ort:
Klippenspringer kennen es gut. Für Kunstliebhaber ist es das Valle Verzasca im Tessin eigentlich kein Hotspot. Doch hier, rund um das Dorf Sonogno, findet schon zum 7. Mal das Verzasca Foto Festival statt, ein Fotofestival für internationale Fotografie.
Warum dahin?
«Of Men and Woods» («Von Menschen und Wäldern») lautet das Motto des diesjährigen Fotofestivals. «Wir wollten betonen, wie wichtig die Natur ist – besonders jetzt in der Covid-19-Krise», sagt Alfio Tommasini, Fotograf und künstlerischer Leiter des Festivals.
320 Fotografinnen und Fotografen haben ihre Arbeiten eingereicht, 21 hat das Festival ausgesucht. Gezeigt werden die Fotos im Wald – zwischen Bäumen und Büschen. Fotos etwa, die das Leben eines fiktiven Einsiedlers einfangen, die ein bedrohtes Tropenwaldreservat in Zentralafrika zeigen oder Menschen porträtieren, die in der Covid-Krise Zuflucht im Wald finden.
Und er will neue Facetten des Verzascatals zeigen: «Wir haben hier viele Fastfood-Touristen, die für Instagram ein schönes Foto von einer Brücke machen und wieder abdüsen», klagt Tommasini. Er möchte ein Publikum anziehen, das sich Zeit nimmt – im Wald verweilt, ohne schon ans Gelato am Lago zu denken.
Der besondere Hingucker:
Beim Thema Wald ist er selten weit: Der Fotograf Florian Spring, dieses Jahr «Artist in Residence», widmet sich in seinem Projekt dem Wolf. Das mysteriöse Tier macht sich jedoch rar – wie immer. Die Fotos gibt’s ab September vor Ort zu sehen.
Die Randnotiz:
Florian Spring sollte zusammen mit vier anderen Fotografen aus Peru, China, Indien und Russland vor Ort sein. Wegen der Covid-19-Krise konnte jedoch nur ein Fotograf ins Valle reisen.
6. Für Freigeister, die Besinnlichkeit suchen: Skulpturenpark Schönthal
Zum Ort:
Natur pur! Der Skulpturenpark Schönthal ist eine Augenweide. Himmlisch, will man sagen, denn der Park gehört zum Areal eines ehemaligen Benediktinerklosters aus dem 12. Jahrhundert.
Ein Glücksfall für den geistlichen Ort im Kanton Baselland war der ehemalige Werber John Schmid: Als er das Kloster 1986 kaufte, war es ziemlich runtergekommen. Schmid verwandelt das Kloster, das er als Rückzugsort für sich selber kaufte, in ein Kultur-Einod im Baselland.
Warum dahin?
Immer mit der Ruhe! Das war schon John Schmids Motto, als er das Areal übernahm. «Der Skulpturenpark sollte langsam entstehen – und vor allem: unbeachtet von der Öffentlichkeit», erklärt er.
33 Skulpturen zählt der Park heute, immer wieder kam mal eine dazu. Der Skulpturenpark wächst. Aber eben: langsam.
Im Park zu sehen sind unterschiedliche Arbeiten – von internationalen, aber auch Schweizer Künstlern, von No-Names und namhaften Künstlerinnen. «Jede Skulptur hat ihren eigenen Landschaftsraum», sagt Schmid. «Das kann kein Museum bieten.» Wer Kunst im Freien anschaue, blicke nachher anders auf die Natur: «Man betrachtet die Natur neu. Vielleicht auch als Kunst.»
Und die Kunst verändert sich mit der Natur. Zum Beispiel die «Brutalitätenskulptur» der Baslerin Miriam Cahn: ihre Arbeit, die die Stärke der Bäume betonen will, hat seit 2008 mächtig gewuchert.
Auch sie wandelt sich wunderbar – je nach Licht und Perspektive: «Spring» von Nigel Hall. Sieht aus wie ein Bergkamm. Soll es auch einer sein?
Der besondere Hingucker:
Schön schattig hier! John Schmids heimlicher Liebling, eine Skulptur des Engländers Richard Long, versteckt sich in einer ehemaligen Scheune. «Cowshed Ellipse» besteht aus Granit und Vulkanstein, der über 250 Millionen Jahre alt sein soll.
Die Randnotiz:
Seit Corona steigt hier die Besucherzahl. Das freut John Schmid. Und trotzdem: Er wünscht sich, «dass das Schönthal nicht überlaufen wird». Nicht die Besucherzahlen, sondern die Ruhe zählt für ihn. Auch wenn ihn das Interesse natürlich freut.