Kurz bevor ihm sein Hirntumor ganz das Heft aus der Hand nahm, erschoss sich Wolfgang Herrndorf am 26. August 2013 am Ufer eines Berliner Kanals. Er war zu diesem Zeitpunkt 48 Jahre alt. Begraben wurde er in einem T-Shirt mit dem Aufdruck «Ich mache keine Fehler». Eine seiner engsten Vertrauten hatte es ihm einmal geschenkt. Der Satz stammte von Herrndorf selbst und ist typisch für sein unerbittliches Beharren auf Genauigkeit.
Er war aber auch typisch für seinen schrägen Humor, vor dem noch nicht mal die tödliche Diagnose sicher war: Zu den ersten Untersuchungen reisten seine Eltern an und wohnten in der schäbigen Bude des Sohnes. Sie hätten sein Pfandglas weggebracht, sagten sie ihm am Krankenbett. Herrndorf darauf: «Aber das war doch meine Altersvorsorge!»
Kompromissloses Aussenseitertum
Der Kulturjournalist Tobias Rüther zeichnet in seiner Biografie «Herrndorf» einen Menschen, der bis zum Schluss anarchistisch war und seinen beissenden Witz erst verlor, als er nicht mehr wusste, wie die Farbe von Ketchup heisst. Kompromissloses Aussenseitertum bewies er schon in der behüteten Kindheit und Jugend. Statt ein Elitestudium aufzunehmen, ging der hochbegabte Herrndorf an die Nürnberger Kunstakademie – mit einer Mappe voller Bilder im Stil seines Gottes Jan Vermeer.
Die Akademiezeit wurde zur Qual für ihn – und wohl auch für seine Lehrerin, die ihn vergeblich in zeitgenössische Bahnen zu lenken versuchte. Er schloss zwar ab, war aber verzweifelt: «Ich konnte nicht das, was ich wollte.» Es folgte eine Zeit als «Buchumschlagdekorateur», wie er spottete. Seine eigenwillig altmeisterlichen Illustrationen für Satirezeitschriften wie «Titanic» und Verlage wie Haffmans waren allerdings hochgeschätzt.
Die Bedeutung der Freundschaft
1996 zog Wolfgang Herrndorf nach Berlin und wurde bald Teil der «höflichen Paparazzi», einer Art Dadaisten des anbrechenden Internetzeitalters. Das Internet-Forum der «Pappen» verhalf dem gescheiterten Maler zu seiner neuen Bestimmung als Schriftsteller. Die Verbündeten, die er dort fand, standen ihm bis zum Tod bei.
Herrndorf überliess nichts dem Zufall. Er war ein Nerd – selbst, was seine Suizidvorbereitungen anbelangte. Sein Leben und Sterben protokollierte er, solange er schreiben konnte, wie gemeisselt im Blog «Arbeit und Struktur».
So besehen liefert Tobias Rüthers Biografie nichts fundamental Neues. Aber es ist ihr grosses Verdienst, dass sie mit einer Fülle von Gesprächsmaterial nicht nur zeigen kann, was Wolfgang Herrndorf ausmachte, sondern auch, welche immense Bedeutung die Freundschaft der «höflichen Paparazzi» für ihn hatte. Vielleicht wäre keines seiner Bücher ohne die «Pappen» geworden, was es war.
Anschreiben gegen die Todesangst
Herrndorfs Freundinnen und Freunde geistern durch seine ersten Achtungserfolge. Sie prägten aber auch die Bücher, die nach seiner Diagnose im Februar 2010 noch entstanden. Genau das soll er ihn als erstes gefragt haben, erinnert sich der Arzt: «Wie viele Bücher kann ich noch schreiben?» Mit den «Pappen» durchforstete er seine Entwürfe. Er entschied sich für «Tschick», ein Jugendbuch.
Seiner Todesangst stellte Herrndorf die aberwitzige Heldenreise zweier 14-Jähriger entgegen, in die er alles packte, was er je gehasst und geliebt hatte. Das Buch wurde ein Welterfolg. Wie viel darin steckt – auch das lässt sich in «Herrndorf» nachlesen.