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Ein Leben am Abgrund – 100 Jahre Charles Bukowski
Aus Kontext vom 12.08.2020. Bild: imago images / Leemage
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100 Jahre Charles Bukowski Mehr als Sex und Suff

Charles Bukowski wird oft auf seine Eskapaden reduziert. Doch der Autor war auch ein empfindsamer und humorvoller Lyriker.

Seine Schreibmaschine ratterte ohne Unterlass, die Bierdose stand stets in Reichweite und aus dem Radio tönte klassische Musik.

So inszenierte sich der selbst ernannte «Dirty Old Man» und schrieb über die Abgründe seines kaputten Lebens: Suff, Sex und Gewalt sind die schrillen Leitmotive.

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«Ausgeträumt» von Charles Bukowski
aus Hörspiel vom 15.03.2014. Bild: reuters
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Im Mittelpunkt steht meist sein Alter Ego Henry Chinaski, der den brutalen Vater, Knast, Armut und unzählige Demütigungen überlebt und im Schreiben dann seine Erlösung findet.

Underground-Kolumnist

Ohne Unterlass produzierte Bukowski teils pornografische Geschichten und Kolumnen für Underground-Blätter: Vieles davon war aber gar nicht so «dirty».

eine schwarz-weiss Aufnahme eines Mannes im Blumengarten
Legende: Skandalautor Bukowski wusste, wie man provoziert. Aber auch, wie man reflektiert. imago images / Everett Collection

Der deutschstämmige Kalifornier schrieb auch über Pferderennen, rezensierte Bücher über Antonin Artaud und schimpfte auf «Uncle Sam» und den Literaturbetrieb: «Ich bin kein lyrischer Entertainer, und ich habe nicht vor, mich auf die goldenen Scheisshäuser der Kultur zu abonnieren.»

Erfolg in Deutschland

In Deutschland fielen Bukowskis rüde Stories und seine Prosagedichte auf fruchtbaren Boden. Auf der Frankfurter Buchmesse 1974 kam dann allmählich der Durchbruch.

Bukowkis «Gedichte, die einer schrieb, bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang» erschienen im kleinen Augsburger Maro Verlag. Damals war Charles Bukowski noch ein Geheimtipp.

Ikone der Gegenkultur

Durch Helmut Salzingers überschwängliche Rezension in der Musik-Zeitung «Sounds» wurde Bukowski zum Bestseller. Denn auch Übersetzer Carl Weissner traf einen Ton, der völlig neu war: unverblümt, lakonisch und rotzig.

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Charles Bukowski
aus 100 Sekunden Wissen vom 09.03.2009.
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Bukowski wurde in Deutschland zur schreibenden Ikone der Gegenkultur und seine Bücher verkauften sich in hohen Auflagen. Maro-Verleger Benno Käsmayr erinnert sich: «In dieser Zeit gab's Johannes Mario Simmel im Buchladen, und es war ziemlich trübe. Das fand ich eigentlich auch, und deswegen war ich ganz froh, dass ich Bukowski im Maro-Verlag hatte.»

Suff-Poet als Image

Dieser Erfolg interessierte auch den Buchversand «Zweitausendeins», der beim Maro Verlag in Tausender-Mengen Bukowski Bücher nachbestellte und später Bukowski werbewirksam im eigenen Verlag herausbrachte.

eine schwarz-weiss Aufnahme eines Mannes, der mit Bier im Schaukelstuhl sitzt
Legende: Anfangs hiess es: unverkäuflich. Doch Bukowskis Werke errangen später Kultstatus. Keystone/Magnum Photos/Thomas Hoepker

«Zweitausendeins» zementierte auf lange Sicht das Image des Suff-Poeten Bukowski auch mit einem passenden Werbeplakat: Man sieht den bärtigen Barden, mit Bierflasche, freigelegtem Bauch, offener Hose und einer ramponierten Stripperin im Arm.

Wie aktuell ist Bukowski?

Für Maro-Verleger Benno Käsmayr war Bukowski ein Phänomen der 1970er-Jahre, mit Vietnamkrieg, Frauenbewegung und Kampf gegen das Establishment. Seine explizit deftigen Geschichten lösen heutzutage allenfalls ein Schmunzeln statt wütenden Protest aus. Am 16. August wäre er 100 Jahre alt geworden.

Von Bukowski bleibt neben der lärmenden Pose des «Dirty Old Man» vor allem der Blues des melancholisch-ironischen Lyrikers, der sich auch selbst auf die Schippe nehmen konnte.

Ich habe 90 Tausend Dollar

Auf dem Konto

Bin 50 Jahre alt

Wiege 127 Kilo

Wache immer ohne Wecker auf

Und bin näher bei Gott

Als ein

Spatz

(«Fakten» aus dem Buch «Dante Baby, das Inferno ist da!»)

Sendung: SRF 2 Kultur, Kontext, 13.08.2020, 09:02

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