Kurt Marti war nicht nur reformierter Pfarrer, linker Kolumnist und experimenteller Lyriker. Er setzte auch neue Massstäbe: auf Hochdeutsch und in «Bärner Umgangssprach». Mit Kurzgedichten wie «Zyt isch es Löcherbecki» hat Marti Ende der 60er Jahre Literaturgeschichte geschrieben.
Marti, der «grosse Erotiker»
Am 31. Januar hätte er seinen 100. Geburtstag gefeiert. Doch auch vier Jahre nach seinem Tod faszinieren die Texte Kurt Marti – und überraschen sogar mit Erotik: «Ich beiss dir den Schwanz ab», zitiert ihn Andreas Mauz auswendig aus seinem Lieblingsgedicht «Rosi, du Nuss» von 1970. Mauz ist selbst reformierter Theologe und Germanist. In einem neuen «Lesebuch im Jahreslauf» präsentiert er eine Auswahl aus Martis vielseitigem Werk.
«Marti war ein grosser Erotiker», sagt Mauz. Geradezu unverschämt erotisch sei das, was der Berner Pfarrer Marti sich zu schreiben traute. Ob «Rösi, du Nuss» oder die «Liebeskalender»: Martis Gedichte lassen tief blicken – auch in die innige Beziehung zu seiner Frau Hanni. Mit ihr war er 57 Jahre lang glücklich verheiratet, bis sie 2007, rund zehn Jahre vor ihm, starb. Marti blieb danach ein «untauglicher Witwer», wie er selbst sagte.
Die Poesie leiblicher Sinnlichkeit reiht sich stimmig in Werk und Denken Martis. Um das Leben ging es ihm. Das betont auch sein Zeitgenosse und Dichter Franz Hohler: «Kurt Marti war einfach ein lebensfreundlicher Mensch und immer hinter dem Leben her.»
Marti, der christliche Linke
Seine Leidenschaft für das Leben äusserte sich neben dem Erotischen auch in politischer Parteinahme für Umweltschutz und für Abrüstung. Als christlicher Linker kritisierte Marti die zerstörerische Ausbeutung von Mensch und Natur. Als Öko-Theologe warnte er hellsichtig schon in den 70er Jahren davor, dass wir mit unserem Lebensstil das Leben auf diesem Planeten gefährden.
Ausserdem protestierte Marti gegen den Tod, etwa in Abdankungspredigten wie der für Mani Matter. Als diesseitiger Prediger lehnte es Marti ab, Menschen auf ein Jenseits zu vertrösten. «Heute und jetzt» sollten wir leben. In seinem Gedichtband «Leichenreden» mahnt er die Auferstehung derer, die leben, an.
Marti, der Feminist?
Auch sonst war Kurt Marti überraschend progressiv: Er übersetzte die schwierige «Trinitätslehre» und «Dreifaltigkeit Gottes» mit: «geselliger Gott». Der biblische Gott wolle gesellig mit uns als seinen Geschöpfen sein.
Dabei lehnte Marti das männliche Gottesbild ab: Dieses verstosse gegen das Gebot, sich kein Bildnis von Gott zu machen. Hier wird der grosse Einfluss spürbar, den die feministische Theopoetin Dorothee Sölle auf Marti hatte. Er begann, inklusiv zu formulieren. Und er widmete Jesu Mutter Maria ein ebenso starkes Gedicht wie den «Frauen am Ostermorgen». Dieses endet mit den Worten «zum zweiten Male erschuf Gott Göttin den Tag».
Nur bei Abwasch und Müllrausbringen, gibt Marti-Herausgeber Andreas Mauz zu, da sei Marti nicht so engagiert gewesen. «Haushalt war natürlich nicht seine Domäne», so Mauz.