Aus einer belebten Gasse im Zürcher Niederdorf, wo Touristen schlendern und Fondue essen, tritt man durch einen dunklen Hauseingang – und gelangt in den «schwarzen Garten».
Eine grosse Esche überdacht den grünen Flecken. Die Sonne erreicht ihn nur von Mitte Mai bis Mitte August.
Gottfried Keller verbrachte seine Kindheit in einem benachbarten Haus und konnte von seiner Dachkammer in den Garten blicken. Später hat er diesen Garten in «Der grüne Heinrich» beschrieben.
«Der grüne Henry» heisst daran angelehnt der Kunstparcours, der durch Gottfried Kellers Zürich führt. Der «schwarze Garten» ist die erste Station.
Kaum jemand kennt den Weg zum Garten
An einer Wand hängt die Skulptur einer Wurzel: Eine Luftwurzel als Sinnbild für den jungen Keller, der darum ringt, Fuss zu fassen, im richtigen Ausdrucksmedium – Kunst oder Literatur.
Keller wäre gerne bildender Künstler geworden, doch daraus wurde nichts. Dafür war er erfolgreich darin, sein Scheitern im Roman «Der grüne Heinrich» zu verarbeiten.
Der Garten ist ein verwunschener Ort. Viele Zürcher würden von seiner Existenz wissen, erzählt eine langjährige Anwohnerin aus einem Lautsprecher, aber sie wüssten weder wo er sei, noch woher sein Name komme.
Hommage aus Knete und Folie
Der Parcours führt an Orte, die sonst nicht einfach so zugänglich sind. Etwa ins Zunfthaus zur Meisen, in dem Gottfried Keller manch feucht-fröhlichen Abend verbrachte.
In einem grossen, holzverkleideten Saal mit prächtiger Stuckdecke zeichnet eine Videoinstallation zwei mit Folie und Knete überlagerte Frauenporträts an die Wand: eine Anspielung auf die beiden Frauenfiguren Anna und Judith im Roman «Der Grüne Heinrich».
In den Künstlerroman selbst kann man sich an mehreren Stationen einklinken: Männer, Frauen und Jugendlichen lesen ihn vor – manche mehr, manche weniger talentiert. 48 Stunden dauert die gesamte Lesung.
Ohne Geduld geht's nicht
Nach einer Zwischenstation in der Zentralbibliothek, wo Kellers Nachlass verwahrt wird, geht es mit dem Bus weiter.
Zum ersten Mal wird klar, dass es viel Zeit und auch ein wenig Geduld fordert, den Parcours in einem Durchgang zu absolvieren – gerade für ortsfremde Besucherinnen und Besucher.
In der Wohnung des Kunstmalers
Manchmal gerät «Der grüne Henry» zu einer etwas uneinheitlichen Mischung aus Stadtrundgang, Schnitzeljagd, Lesemarathon und zeitgenössischer Kunst.
Doch immer wieder wird man für den Aufwand belohnt. Etwa im Garten des Ateliers des Kunstmalers Arnold Böcklin. Bei ihm war Keller oft zu Besuch.
Eine kleine Oase. Auf der Veranda hängt ein Wandteppich der Künstlerin Isabelle Krieg. Sie hat sämtliche Farbadjektive des «Grünen Heinrich» rausgesschrieben – eine grosse Menge. Diese Farben hat sie in der Reihenfolge des Romans zu einem farbigen Teppich verwebt.
Eine Fleissarbeit, die verzaubert. Verzaubert durch seine Übersetzungsleistung: Der Roman wird in einen Teppich verwandelt – und so wird Gottfried Kellers Wunsch, ein Künstler zu werden, ein spätes Denkmal geschaffen.