Das Gespräch mit Sänger André Herzberg dauert eineinhalb Stunden. Erst ganz zum Schluss, als er die ganze Geschichte seiner Band Pankow erzählt hat, fällt das Wort «Diktatur».
Plötzlich ist das Gespräch kein Gespräch mehr über eine DDR-Rockband, sondern eines über persönliche Erfahrungen mit einem System, das «das Dunkelste im Menschen hervorbringt», wie André Herzberg sagt.
Der Traum der Eltern wird zum Albtraum des Sohns
Diese Erfahrungen sind alt und gehen tief. Sie beginnen schon lange vor Herzbergs Geburt. Seine Eltern sind nach dem Krieg aus England zurückgekehrt, wohin sie als Juden fliehen mussten. Sie entscheiden sich für Ostdeutschland als neue Heimat, weil sie dort die Chance sehen, ihren Traum von einer besseren Welt umzusetzen.
Doch der Traum der Eltern entpuppt sich als Albtraum des Sohnes. Er, der Individualist und Künstler, ist nicht geschaffen für ein durchideologisiertes System.
Eine Rockoper über den Lehrlingsalltag
André Herzberg wird Sänger, macht eine Ausbildung und erhält seine Zulassung. Nach ersten positiven Banderfahrungen mit der Gaukler Rock Band schliesst er sich einer aufstrebenden Formation von jungen Musikern an, deren Sängerin sich gerade in den Westen abgesetzt hat.
Die neue Band heisst Pankow und reüssiert gleich mit einer Rockoper. «Paule Panke» beschreibt mit musikalischen wie theatralischen Mitteln einen Tag im Leben eines Lehrlings.
Das ist subversiv, denn wer den Alltag einfach nur als Alltag darstellt, widerspricht dem offiziellen Narrativ des sozialistischen Aufbruchs. Die Jugendlichen verstehen das und machen Pankow zur erfolgreichsten DDR-Band der frühen Achtzigerjahre.
Weg vom Osten
Bald ruft der Westen: Die Band spielt in Westberlin. Später in der ganzen Bundesrepublik. Doch «die Begegnung mit dem Westen schärfen den Blick auf den Osten», wie Herzberg sagt. Noch grauer wirkt er aus der Ferne. Noch absurder das Leben dort. Doch im Westen zu bleiben, ist keine Option. Zu viel Respekt hat er vor dem Traum seiner Eltern.
Nach der Wende ändert sich das. Herzberg bricht alle Brücken ab. Er verlässt seine Familie und seine Band. Er beginnt eine Psychoanalyse, in deren Verlauf er zum ersten Mal erkennt, dass seine Prägung die der Diktatur ist. Das erschüttert ihn. Es braucht lange, bis er sich fängt.
Die Band wurde bespitzelt
Als es Mitte der Neunzigerjahre so weit ist und er wieder in seine Band zurückkehren will, holt ihn die Vergangenheit erneut ein. In einem Brief der Stasibehörden erfährt er, dass es bei Pankow einen Spitzel gab.
Jürgen Ehle, begnadeter Gitarrist und Hauptverantwortlicher für den Sound der Band, hat jahrelang für die Stasi gearbeitet. Für Herzberg ein Schock. Nur der Umstand, dass die Geschichte öffentlich wird, und viele lange Gespräche über die Motive und die Art und Weise der Bespitzelung bewirken, dass die Band nicht auseinanderbricht.
Zurück zu den jüdischen Wurzeln
Das ist nun 15 Jahre her. Pankow gibt es noch immer. Auch Herzbergs frühe Prägung spielt nach wie vor eine Rolle. Zwei Romane hat er mittlerweile über sein Leben geschrieben. Hinzu kommt sein neues Buch über sein Leben mit der Band.
Er selbst hat mittlerweile seine jüdischen Wurzeln wiederentdeckt. Wobei es ihm – so viel lässt sich nach dieser Geschichte mit Sicherheit sagen – nicht um eine neue Ideologie geht. Allenfalls um so etwas wie Halt.