Der Schwyzer Autor Meinrad Inglin ist aus der Schweizer Literatur nicht wegzudenken. Viele kennen seinen Namen, nur die wenigsten sein Werk. Am 4. Dezember jährt sich sein Todestag zum 50. Mal.
Der Schriftsteller und Übersetzer Usama Al Shahmani gilt als Inglin-Kenner. Im Gespräch erklärt er, weshalb der Innerschweizer Autor zurecht zur Weltliteratur zählt.
SRF: Sie haben das Werk von Meinrad Inglin während Ihres Studiums in Bagdad kennengelernt. Wie kam es dazu?
Usama Al Shahmani: Damals durften Studentinnen und Studenten in Zusammenarbeit mit der Universität einen Blick auf die Weltliteratur werfen – und Inglin hat mich interessiert. Natürlich gab es damals kaum arabische Übersetzungen von Schweizer Literatur, aber einiges auf Englisch. Das Projekt sollte die Studierenden dazu ermutigen, zukünftig Weltliteratur ins Arabische zu übersetzen. Leider kam es nicht zustande.
Was fasziniert Sie an Inglins Werk?
Auf der sprachlichen Ebene fasziniert mich seine Poesie. Auf der thematischen Ebene sind dies die Liebe seiner Protagonistin zur Natur sowie der leise Humor und die feinen, märchenhaften Elemente, die er raffiniert ins Gewebe seiner Texte flicht.
Inglin hat eine Form gefunden, in der Fiktion und Fakten nicht einfach zu unterscheiden sind – für mich einzigartig.
Spannend ist auch, wie Inglin mit dem biografischen Stoff arbeitet. Er hat eine Form gefunden, in der Fiktion und Fakten nicht einfach zu unterscheiden sind. Für mich als Schriftsteller ist das einzigartig. Ich liebe diese Art von Literatur sehr.
Warum ist Meinrad Inglin heute noch wichtig?
Seine Themen – Krieg, Liebe, Heimat und Natur – sind weiterhin aktuell. Vor allem die Natur spielt in seinem Werk eine grosse Rolle. Sie ist der Nährstoff und Lebensraum seiner Sprache.
Die Natur ist das Gerüst, auf das sich seine Sprache stützt, und das Fundament einer unendlichen Sehnsucht nach Heimat. Heimat heisst für ihn Natur. Auch die Figuren machen seine Literatur aktuell: Sie sind lebendig, humorvoll und haben Hoffnung.
«Schweizerspiegel» gilt als Werk der Weltliteratur. Weshalb?
In diesem Werk schildert er einen Epochenwandel. Der Roman gleicht einem grossen Gemälde, das sämtliche Schichten der Gesellschaft umfasst.
Der Erzählband «Schneesturm im Hochsommer» passt zum Einstieg gut, weil er eine Auswahl Inglins sehr verschiedener Facetten darstellt.
Die prototypischen Figuren stehen für die verschiedenen gesellschaftlichen Strömungen. Gleichzeitig sind sie sehr individuell und psychologisch glaubwürdig gestaltet und ins reale Zeitgeschehen eingebettet. Inglin schildert eine Gemeinschaft, die von aussen bedroht wird, zwischen Spaltung und Solidarität.
Welches Werk von Meinrad Inglin empfehlen Sie zum Einstieg?
Den Erzählband «Schneesturm im Hochsommer». Er passt als Einstieg gut, weil er eine Auswahl Inglins sehr verschiedener Facetten darstellt.
Auch hier richtet sich der Fokus zweifellos auf die Natur. Sie wird grandios gefeiert durch eine poetische Sprache, die den Blick auf die Realität erweitert und auch ein unendliches Feld von Zeit und Raum eröffnet.
Das Interview führte Caroline Lüchinger.